Dienstag, 30. Juli 2013

Exklusivinterview mit Karsten Neitzel: Taktischer Rückblick auf die Saison 2012/2013

Die neue Spielzeit läuft bereits. Der VfL Bochum hat im Kader einen großen Umbruch vollzogen. Eine Saison wie im letzten Jahr soll möglichst vermieden werden. Blaue-weiße Taktikecke hat zusammen mit Martin Rafelt (MR) von der Spielverlagerung im Exklusivinterview mit Karsten Neitzel die einmalige Chance, auf diese Saison zurückzublicken und die Gründe sowie die gewählten taktischen Konzepte zu hinterfragen.
 
Blau-weiße Taktikecke: Sehr geehrter Herr Neitzel. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen. Die Saison begann mit der Ankündigung, mit einer offensiven Aufstellung und einer frechen Spielweise die TOP 5 der Tabelle zu ärgern. Wie wollten Sie zusammen mit Andreas Bergmann diese doch recht unscharfe Vorgabe umsetzen?
 
Wir haben dazu gezielt die Spielertypen auswählt, die eine solche freche Spielweise umsetzen können. Während der Fokus der Viererkette auf dem Verteidigen lag, sollten alle anderen Spieler bereit sein, in die Räume zu gehen, in denen es kracht. Dazu ist es nicht notwendig, mit vielen expliziten Stürmern zu spielen. Viel mehr haben wir das Mittelfeld gezielt offensiv ausgerichtet. Niemand wurde bei eigenem Ballbesitz an seine Position festgenagelt. Ab dem 3. Spieltag waren mit Ausnahme von Christoph Kramer alle Spieler eher vom Typ 8er/ 10er und in der Lage, im Zentrum wie auf den Flügeln für Gefahr zu sorgen. Selbst Christoph ist ein spielender 6er, der sich über den ganzen Platz bewegen muss. Für eine Rolle als Abräumer, in der er den Anderen den Rücken frei hält, ist er viel zu offensiv- und laufstark.
 
Blau-weiße Taktikecke: Sie sprechen die Zusammenstellung von flexiblen spielstarken Spielertypen im Mittelfeld an. Ich hatte den Eindruck, dass die Abwehrspieler jedoch häufig lange Bälle über diese Zone hinweg spielten. Wäre es nicht besser gewesen, den Ball flach ins Mittelfeld zu spielen, um dann das Spiel dort ins Rollen zu bringen?

Das stimmt schon. Grundsätzlich ist mir immer der Ball „durchs Loch“ lieber. Damit meine ich einen Ball, der vom Innenverteidiger durch die beiden pressenden Stürmer hindurch flachs ins Mittelfeld gespielt wird. Damit nimmst Du sofort zwei Spieler aus dem Rennen. Die dazu benötigten Leute hatten wir im auch Zentrum. Maltritz und Sinkiewicz können das definitiv. Die Auslöser für die langen Bälle lagen dann eher auf den Außenbahnen. Da hatten wir häufig keine gute Spieleröffnung, sondern die Bälle wurden teilweise auch unkontrolliert nach vorne gespielt. Ein langer Flugball kann manchmal gezielt genutzt werden, um gewisse Räume schnell zu überbrücken. Gerade in Spielen wie gegen Aalen oder Regensburg, wo der Gegner tief steht, ist es aber natürlich das absolut falsche Mittel. 

Spielverlagerung: Haben Sie darüber nachgedacht, ob sich auch mal ein 6er bei den Innenverteidigern den Ball abholen könnte, um das Aufbauspiel zu stärken?
 
Doch, wir haben das sogar oft so gemacht, dass die wir die beiden Innenverteidiger in der Spieleröffnung relativ eng stehen gelassen haben, damit sich der Sechser halbrechts den Ball holen kann. In diesen Fällen hat der rechte Außenverteidiger nach vorne geschoben und der rechte Mittelfeldspieler hat sich im Zentrum angeboten, um die Aufnahme unserer Spieler durch den Gegner zu erschweren. Das hat meist so lange gut funktioniert bis die Bälle auf den offensiven Außenbahnen angekommen sind, weil wir dort zu oft Probleme hatten, uns individualtaktisch aus Engen im Eins-gegen-Eins zu befreien.
 
Blau-weiße Taktikecke: Bereits im gewonnen Spiel gegen Dresden gab es Situationen, in denen im Pressing extrem aufgerückt wurde, so dass es nach dem Überspielen der ersten Pressinglinie 3:4 oder  4:4 Situationen in der Abwehr gab. Dies ist dann gegen Paderborn richtig bestraft worden. Wieso haben Sie entscheiden, darauf zu reagieren, indem sie mit Marc Rzatkowski für Christoph Dabrowski einen weiteren spiel- für einen kampfstarken 6er bringen?

Insgesamt war es schon so, dass wir die spielstarke Variante bewusst gewählt haben. Das ist auch etwas, was die Jungen individuell richtig voranbringt. Je nach Ausrichtung hatten wir 2-3 Spieler im Zentrum. Wenn Du mit einer flexiblen Rollenauslegung spielst, dann müssen diese Spieler sich abstimmen. Da sage ich nicht: „Du schaltest dich ein und du sicherst ab“. Je nach Situation schaltet sich einer ein und der andere positioniert sich schlau in den Räumen, wo er verhindern kann, dass die Mannschaft ausgekontert wird. Dabei ist eine direkte Umsetzung wichtig. Bevor der eine nach vorne losrennt, sollte er sich nicht noch einmal umdrehen müssen und wichtige Sekundenbruchteile verlieren. Da sind klare Ansagen vom Hintermann nötig. Denn wenn alle gleichzeitig aufrücken, dann haben wir ein Problem.

Ähnliches gilt übrigens für die Außenverteidiger. Auch diese hatten die Freiheit, sich nach vorne einzuschalten. Wenn der rechte Außenverteidiger nach vorn schiebt, um durch Hinterlaufen an die Grundlinie zu kommen, dann wollte ich, dass der linke Außenverteidiger mithilft, den Rückraum zu sichern. Er sollte nicht auf seiner Seite verhungern, sondern bis vor die Innenverteidiger einschieben. Ich habe das in den Gesprächen immer „Parkplatz“ genannt. Leider ist das nicht immer so passiert. 

Ein Punkt, in dem ich jedoch widersprechen möchte ist, dass wir so euphorisch ins Pressing gegangen sind, dass wir anschließend Konter in Unterzahl bekommen haben. In den Situationen, wo wir die Tore bekommen haben, waren wir nie in Unterzahl, eventuell einmal in Gleichzahl. Wenn ich beispielsweise an Paderborn denke, dann spielen da andere Dinge eine Rolle. Da stehen wir hinten in einer 6:3-Situation und kassieren trotzdem ein Tor. Es ist nämlich nicht so, dass eine starke Überzahl gleichbedeutend mit viel Sicherheit ist. Wenn Du hinten in einer 4:4-Situation stehst, dann weiß jeder in klaren Mannorientierungen für wenn er zuständig ist. Eventuell brauchst Du noch einen freien Spieler, der dort aushilft, wo grade Hilfe benötigt wird. Alles andere ist viel zu viel. Natürlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass du dabei hinten auch zwei vernünftige Manndecker hast. Marcel Maltritz hat das ja im Laufe der Saison gut gemacht. Der weiß genau wie er zu stehen hat, wie er zu laufen hat, wie er den Auftakt zu spielen hat, auch wenn er nicht der Schnellste ist. Wenn jemand die Situation richtig erkennt,  dann macht er den einen oder anderen Meter, den er langsamer ist, durch andere Stärken wieder wett.

Blau-weiße Taktikecke: Wie würden Sie dieses Experiment abschließend bewerten?

Das erste Heimspiel gegen Aalen (0:1) war schlecht. Nach dem 1:0 Auswärtssieg in Regensburg haben wir jedoch ein geiles Heimspiel gegen 1860 München abgeliefert, was leider nur 0:0 ausging. In Duisburg spielen wir wieder 0:0. Das war zwar okay, Duisburg hätte auch gewinnen können. Wir hatten aber zum Schluss drei gute Chancen. Das war unsere Möglichkeit, die Saison in die richtige Richtung zu lenken, indem Du so ein Spiel einfach mal dreckig auswärts gewinnst. An solchen Kleinigkeiten hängt es manchmal.

Letztendlich ist es immer eine Frage des Erfolges. Wir hatten mit der Spielweise in fast allen Spielen die Großzahl an Torchancen gehabt. Aber da kommen zur Abschlussqualität, die ja nun mal eine entscheidende Qualität ist. Du musst die Murmel auch einfach mal ins Netz knallen. Da haben wir uns zu oft schwer getan.

Blau-weiße Taktikecke: Was haben Sie getan, um die Torgefahr zu erhöhen und die Mannschaft nach den sieglosen Spielen zu motivieren?

Hier muss gesagt werden, dass wir zu Beginn der Saison aufgrund der Verletzung von Mirkan Aydin mit sehr beweglichen Stürmern gespielt haben, die sich gern ins Mittelfeld oder auf die Flügel bewegen. Insbesondere Zlatko Dedic spielt eigentlich lieber um eine echte Sturmspitze herum. Um trotzdem die wichtigen Läufe in die Spitze zu forcieren, haben wir gezielte Videoanalysen und ausgewählte Spielformen im Training verwendet. Dabei ging es um Positionswechsel und das gezielte Hinterlaufen auf den Flügeln. So wollten wir diese freche Spielweise verinnerlichen und positiv verstärken.

Blau-weiße Taktikecke: Und als auch das nicht die direkten Erfolgserlebnisse gebracht hat?

Wir haben dann am 9. Spieltag gegen Braunschweig Lukas Sinkiewicz statt Christoph Kramer auf die 6er-Position gestellt, um wieder mehr Stabilität in die Mannschaft zu bringen. Er gab den typischen Abräumer und hat den Kreativen den Rücken freigehalten. Das hat auch direkt geholfen. Wir spielen Braunschweig 20 min an die Wand, bis wir dann durch ein klares Foul an Andreas Luthe den Gegentreffer bei der besten Kontermannschaft der zweiten Liga kassieren, was letztendlich zum 0:3 führt. Am 10. und 11. Spieltag musste er wegen der Daumen-OP von Marcel Maltritz wieder in die Abwehr und am 13. Spieltag war er gelbsperrt. Ansonsten hat er bis zum 16. Spieltag alle Spiele gemacht. Das hat eigentlich ganz gut funktioniert. 

Blau-weiße Taktikecke: Danach wurde die Ausrichtung der Mannschaft deutlich angepasst. Im Interview mit der Westline (ca. 5:30 min) haben sie gesagt, dass diese Umstellung zu einer etwas tieferen Aufnahme des Gegners den Spielertypen von der taktischen Grundausrichtung entgegengekommen ist. An welche Spielertypen haben sie in diesem Interview insbesondere gedacht?

Da gab es mehrere Faktoren. Zuerst wollte ich Christoph Dabrowski neben Christoph Kramer einsetzen und Sinkiewicz wieder in die Abwehr stellen. Dieser hatte jedoch in den ersten beiden Spielen aufgrund seiner Geschwindigkeit Probleme mit der gestreckten offensiven Formation. Ihm kommt es extrem entgegen, wenn die Mannschaft tief und kompakt steht, wenn die Wege zum nächsten Zweikampf kurz sind. Dann kann er auch seine Stärken ausspielen. Da gleichzeitig Mirkan Aydin langsam fit wurde, konnte ich auf ein direkteres Spiel umstellen und Zlatko Dedic ideal einsetzen. Beide waren das erste Mal am 17. Spieltag gegen Union Berlin wieder in der Startformation. Die folgenden Ligaspielen gegen Dresden und Paderborn sowie das Pokalspiel gegen 1860 München haben wir alle gewonnen und dabei 10:0 Tore erzielt. Wir standen stabil und darüber hinaus haben wir auch noch guten Fußball gespielt. Da spielt natürlich auch rein, dass wir in Dresden die ersten 20 min richtig Dusel gehabt haben. Da kannst du auch schnell 0:2 hinten liegen. Wir gewinnen dann 3:0, trotz knapp 60 min in Unterzahl. Das gab deutlich mehr Sicherheit für die kommenden Spiele.

Blau-weiße Taktikecke: Wieso konnte diese Form nicht über die Winterpause konserviert werden?

Naja, wir gehen in den Urlaub und Christoph Dabrowski bricht sich das Schlüsselbein. Dann musst du den Haufen wieder umstellen. In der Innenverteidigung hat sich in der Vorbereitung die Kombination aus Lukas Sinkiewicz und Marcel Maltritz als das Pärchen herausgestellt, das am meisten Sicherheit ausstrahlt. In der Innenverteidung ist es wie bei den Torhütern. Du darfst Dir einfach keine Fehler erlauben, da jeder Fehler direkt in einem Gegentor enden kann. Da habe mich dann dafür entschieden, Marcel und Lukas zusammenzulassen und mit offensiveren Spielertypen in der tieferen Grundausrichtung anzutreten.  So kam Michael Ortega wieder in die Mannschaft, der eine richtig gute Vorbereitung gespielt hat. 

Blau-weiße Taktikecke: Diese Idee ging leider nicht so richtig auf. Die ersten beiden Spiele gegen Aalen und Regensburg konnten nicht gewonnen werden. Woran machen Sie das fest?

Wir haben gegen Mannschaften, die selbst reaktiv spielen, zu passiv agiert. Gegen Regensburg habe ich die Jungs mit der gleichen defensiven Ausrichtung rausgeschickt wie gegen Aalen. Auswärts beim Tabellenfünften war ich mit einem Unentschieden zufrieden. Gegen Regensburg hätte ich sie jedoch sofort richtig vorne draufjagen müssen. Das würde ich heute anders entscheiden. Beim Pressing ist es wichtig, dass alle Spieler mitmachen. Sobald einer nicht mitzieht, kannst Du es sofort vergessen. Das haben wir im Nachgang des Regensburg-Spiels gut analysiert und im nächsten Spiel gegen 1860 München gut umgesetzt.

Blau-weiße Taktikecke: Was haben Sie dort genau geändert?

Aufgrund der kurzfristigen Erkältungen von Leon Goretzka und Alexander Iashvili spielten Kevin Scheidhauer und zum ersten Mal seit einem Jahr wieder Faton Toski in der vordersten Pressinglinie. Die beiden haben ganz konsequent die beiden Innenverteidiger angelaufen, zumindest so lange wie wir noch in Gleichzahl waren. Sie haben das mit den Anderen gut abgestimmt und sich die richtigen Momente dafür ausgesucht. Das Pressing haben wir diese 18 min fast perfekt gespielt. Wir sind dann 1:0 in Führung gegangen, vorher standen wir schon alleine vorm Torwart. Trotz der langen Zeit in Unterzahl war der Sieg verdient.

Blau-weiße Taktikecke: Sie erwähnen die Spieler als Schlüsselfiguren. Inwieweit war dieses Pressing eintrainiert? Oder ist das einfach intuitiv aus der Situation entstanden?

Beides. Faton hat das aber in dieser Phase richtig gut gemacht. Er hat als Spielertyp schwimmende zweite Spitze die Innenverteidiger richtig gut angelaufen, in München zwar nur eine Halbzeit – aber halt so lange die Kraft reichte. Dann noch zu Hause gegen Duisburg und Braunschweig sowie in Kaiserslautern. Das sind auch Dinge, die trainierst Du natürlich. Das ist eine Gruppentaktik beim Anlaufen, aber auch eine Mannschaftstaktik beim Nachschieben. Wir haben uns trotz eines durch Verletzungen eng definierten Kaders für die Variante entschieden drauf, drauf, drauf, Anlaufen und Nachschieben. Das haben wir gut gemacht. In diesen Spielen hätten wir die 9 Punkte verdient gehabt. Zu Hause gegen Duisburg spielen wir eine richtig geile zweite Halbzeit, drehen einen 0:1 Rückstand. Beim Stand von 2:1 schießt Leon Goretzka an den Innenpfosten. Dann kommt Timo Perthel und haut uns in der 90 min aus über 20 m mit seinem rechten Fuß das Ding in den Knick rein, es steht 2:2 (Anm.: Perthel ist eigentlich Linksfuß). Kaiserslautern hat aus dem Spiel heraus nur eine Torchance am Ende der ersten Halbzeit. Wir jedoch laufen zwei Mal allein auf Tors zu und schaffen es leider nicht, den Ball im Netz zu versenken. Bei unserem regulären 1:0 wird Abseits angezeigt. Wie ich nachher in den Fernsehbilder gesehen habe, war das nicht knapp, sondern 1,5 m kein Abseits. Das Spiel gegen Braunschweig ist eigentlich ein klares Dingen für uns, wir verlieren es aber 0:1. Dazwischen war das Spiel gegen Ingolstadt, wo wir zwei unfassbare Gegentore bekommen, in denen sich der gesamte Mannschaftsverbund im Zweikampfverhalten schlecht angestellt hat. Auch da war ansonsten mindestens ein Punkt drin, auch da haben wir eine gute zweite Halbzeit gespielt – wenn wir jetzt mal die Gegentore ausklammern. Das waren Spiele, wo wir gut bis sehr gut gespielt aber eindeutig zu wenig Punkte geholt haben. Wo wir wieder bei den entscheidenden Kleinigkeiten und der Abschlussschwäche wären.

Blau-weiße Taktikecke: Kommen wir noch einmal auf das Pressing zu sprechen. Sie nennen explizit Faton Toski. Mir ist damals insbesondere Christoph Kramer aufgefallen. Inwieweit ist so jemand, der einfach auch mal 30 m auf einen Gegenspieler zu sprintet und den Ball dann noch koordiniert gewinnt, für das offensive Pressing wichtig? Hatte er als Initiator eine Schlüsselrolle im Pressing oder wirkte dies nur aus der Situation so?

Diese Dinge entscheiden schon die Spieler: Wann geht es los? Wie wird rausgeschoben? Christoph schwimmt da mittendrin. Grad die zentralen Mittelfeldspieler müssen da ganz schnell den richtigen Gegenspieler finden. Das ist natürlich aus der Sicht von oben viel leichter zu erkennen als jetzt auf dem Feld. Grade Christoph hat die Stärke, dass er ganz schnell den richtigen Gegenspieler findet, wobei er auch schnell von seinem aktuellen Gegenspieler weggeht, was nicht immer richtig sein muss. So kommt er dann in 2:1-Situationen, in welchen er die Bälle oft gewinnen kann. Christophs Schwäche ist jedoch, dass er häufig ganz hart anläuft und nicht rechtzeitig 2-3 m vorm Gegenspieler das Tempo rausnimmt. Das ist ein Ding, das hat er so lange ich für die Mannschaft verantwortlich war noch nicht richtig hinbekommen. Dabei ist er ein Typ, der sich sehr intensiv mit der eigenen und der Mannschaftsleistung auseinandersetzt, der sich die Dinge noch einmal anschaut. Er hat schon ganz viele Dinge als junger Spieler richtig erkannt. Unabhängig von seinem Alter hat es immer Spaß gemacht mit Christoph über Fußball zu sprechen.

Blau-weiße Taktikecke: Hierzu noch eine Frage etwas außerhalb des Kontexts. Was erwarten sie von dem Wechsel Christoph Kramers zu Borussia Mönchengladbach? Es ist ja schon interessant, dass ein von seinem Aktionsradius und seiner Zweikampfführung extrem weitreichender Spieler jetzt ins das positionsorientierteste System der Bundesliga wechselt. Glauben sie, dass er davon profitieren kann oder dass es eher zum Problem wird?

Da bin ich selbst gespannt. Ich glaube Lucien Favre ist ein sehr guter Trainer, der auch total ins Detail geht, bei den Dingen, die er im Training vermittelt. Ich habe bisher nur gute Dinge über ihn gehört. In Bezug auf Christoph glaube ich schon, dass er davon profitieren wird. Für mich ist nur interessant, zu sehen wie viel Einsatzzeiten er bekommt bei einer Mannschaft wie Borussia Mönchengladbach, die natürlich ganz andere Ziele hat als der VfL Bochum. Ich befürchte, dass es für Christoph als 6er in der ersten Liga noch etwas zu früh ist. Ich hoffe, dass ich mich täusche. Er braucht dort eher noch einen hinter sich, so als offensiver Part einer Doppelsechs. Aber dafür ist er wohl noch nicht torgefährlich genug. Es wird echt spannend, zu sehen wie er sich jetzt unter einem anderen Trainer entwickelt. Es lohnt sich da zuzuschauen und den Weg weiterzuverfolgen.

Blau-weiße Taktikecke: Nach dem Heimspiel gegen Braunschweig kam das Spiel in Berlin. Was war die Idee dahinter, Leon Goretzka in diesem Spiel auf der Höhe des Stürmers spielen zu lassen?

Er hat in diesem Spiel die Rolle übernommen, die vorher Faton Toski so ordentlich gespielt hat. Ich habe mit Leon in der Woche davor gesprochen, ob er sich diese Rolle zutraut. Mein Gedanke war es, in Berlin die Bälle mit der gleichen Aggressivität im hohen Pressing zu gewinnen wie gegen Kaiserslautern. Gewinnt Goretzka in diesen Zonen den Ball, dann hat er mit seinem starken Eins gegen Eins einen kurzen Weg zum Tor. Selbst wenn wir die Bälle nicht direkt erkämpfen, reicht es aus, unkontrollierte Bälle zu erzwingen, so dass du es als verteidigende Mannschaft einfacher hast, die Bälle abzufangen. Leider sind wir aufgrund der individuellen Klasse der Berliner gar nicht erst in diese Situationen gekommen. Wir haben im ganzen Spiel glaub ich nur einen Ball im Berliner Drittel erobert. Dadurch ist diese Entscheidung dann nach hinten losgegangen. Für unser eigenes Spiel war das sicherlich nicht hilfreich. Wir haben nicht gut gespielt, das 0:2 ging vollkommen in Ordnung.

Blau-weiße Taktikecke: Es ging also nur darum, die Zweikampf- und Abschlussstärke von Leon Goretzka im Pressing zu nutzen. Er sollte nicht aufgrund seiner Größe als Zielspieler für lange Bälle agieren?

Nein, das war überhaupt nicht geplant. Das kannst du nicht innerhalb von 5 Tagen der Mannschaft verordnen. Er hat zwar ein gutes Kopfballspiel, ist aber nicht der Typ, der sich dauerhaft gegen zwei gestandene Innenverteidiger in der Luft durchsetzen kann.

Blau-weiße Taktikecke: Inwieweit würden sie psychologische Gründe für die schlechte Leistung im folgenden Spiel gegen Aue anführen. Es fiel auf, dass die Spieler in Überzahlsituationen dumme Fouls begehen, in deren Folge die Mannschaft dann die Gegentreffer per Freistoß bekommt.

Gegen Aue war es dann so, dass Aue 5 Punkte weg wäre, wenn wir das Spiel verlieren. Sechs Spieltage vor Schluss sind sie dann auch nur noch schwer zu holen. Dann hast du den Druck, dich in der Tabelle hocharbeiten zu müssen. Sowas ist nie gut. So kommt es dann, dass selbst erfahrene ehemalige Nationalspieler einfache Fehler machen. Aber da bin ich den Spielern nicht böse, das ist halt im Fußball so. Da kam dann alles zusammen.

Spielverlagerung + Blaue-weiße Taktikecke: Vielen Dank für das nette Gespräch und die ausführliche Beantwortung unserer Fragen. Wir wünschen Ihnen für Ihre Zukunft in Kiel alles Gute!
   

Danksagung und Ankündigung

Vielen Dank an Volker Rothenhäusler und Martina Gemp für die Herstellung des Kontakts sowie an Martin Rafelt für die Unterstützung bei der technischen Umsetzung und bei der Durchführung des Interviews. Im Rahmen des Interviews mit Karsten Neitzel wurden auch der Übergang vom Spieler zum Trainer, seine allgemeine taktische Philosophie sowie die neue Aufgabe bei Holstein Kiel thematisiert. Diese Inhalte werden in der nächsten Ausgabe des Magazins Ballnah erscheinen.

Sonntag, 21. Juli 2013

1. FC Union Berlin – VfL Bochum 1:2


Der VfL Bochum besiegt den Aufstiegsgeheimfavoriten aus Berlin in einem kontrolliert geführten Spiel mit 2:1. Bis auf zwei kurze Phasen zu Beginn der ersten Halbzeit und nach dem Führungstor lässt der VfL keine Torchancen zu. Union hat der guten Ordnung der Bochumer nicht genug entgegenzusetzen.
 

Die Grundformationen 

 

Der VfL tritt wie vom Autor dieses Blogs empfohlen mit einer 4-3-3 Grundformation an. Das Personal ist dabei identisch zur ersten Halbzeit im Spiel gegen Aston Villa FC. In der konkreten Umsetzung wurden jedoch kleinere Anpassungen an die 4-1-3-2 Formation des Gegners vorgenommen. Während gegen Aston Villa FC auf ein fluides Mittelfelddreieck, d. h. drei 6er/8er mit flexibler Rollenverteilung,  gesetzt wurde, gab es nun eine klare Aufteilung in 6er (Jungwirth), 8er (Latza) und 10er (Tiffert).
 
 
Wie die Gegenüberstellung der Grundformationen zeigt, konnte der VfL durch das Abkippen Jungwirths zwischen die Innenverteidiger und die tiefe Stellung Sukuta-Pasus im Pressing in den zentralen Zonen jeweils eine 3 zu 2 Überzahl erzeugen (Jungwirth, Fabian und Maltritz gegen Brandy und Nemec sowie Latza, Tiffert und Sukuta-Pasu gegen Mattuschka und Kreilach). Auf den Außen gab es die übliche Pärchenbildung zwischen offensiven und defensiven Außenspielern, wobei die jeweils offensiven Spieler leichte Defizite in der Rückwärtsbewegung aufwiesen.
 

Ausrichtung


Im Gegensatz zum Spiel gegen Aston Villa FC war die generelle Ausrichtung des VfL etwas defensiver. Im Pressing wurde durch die leicht nach links versetzte Position von Tiffert eher ein 4-4-2 als ein 4-3-3 erzeugt, wobei die erste Pressingreihe auf Höhe des 6ers von Union stand. Im Spielaufbau rückten die Außenverteidiger zu Beginn etwas verhaltener auf, was jedoch einige dynamische Vorstößen in die durch die diagonalen Läufe von Tasaka und Cwielong geöffneten Räume erlaubte. Die Aufbauformation ähnelte durch das konsequente Abkippen von Jungwirth zwischen die Innenverteidiger diesmal eher einem 3-4-2-1 als einem 2-3-5 wie gegen Aston Villa FC. Insgesamt wirkte das Offensivspiel des VfL dadurch besser verbunden,  direkter und weniger statisch.
 

Spielentwicklung 

  
In den ersten 10 min der Partie konnte Union leichte optische Vorteile verbuchen. Dabei wurden sie insbesondere über die linke Abwehrseite der Bochumer gefährlich, da Tasaka in der Defensivarbeit oft entscheidende Bewegungen verweigerte und somit Bastians in einige Eins-gegen-Eins-Duelle schickte. Das Trainerteam des VfL reagierte darauf früh, indem sie die Seiten von Tasaka und Cwielong tauschten. So bekam der VfL das Spiel defensiv in den Griff.

Mit fortschreitender Spieldauer konnte der VfL die Spielkontrolle auch in Torchancen umsetzen. Erst scheiterte Tiffert in aussichtsreicher Position, dann baute Sukuta-Pasu einen Scheidhauer nach einem feinem Pass durch die Gasse. Eine gute Direktannahme des Stürmers konnte von Guzan pariert werden
  

Zweite Halbzeit und Auswechslungen

 
Zu Beginn der zweiten Halbzeit gab es keine entscheidenden taktischen Änderungen. Durch das glückliche Weitschusstor von Latza ging der VfL in Führung. Neuhaus musste nun mehr riskieren, wechselte jedoch positionstreu mit Skrzybski für Brandy (Sturm) und Dausch für Köhler (offensives Mittelfeld) frische Leute ein. Erstaunlicher war der Wechsel des Bochumer Trainerteams, das den offensivsten Mittelfeldspieler Tiffert gegen Aydin wechselte und somit auf zwei nominelle Spitzen umstellte. Da Bochum im Pressing sowieso in einer 4-4-2/4-4-1-1 Formation agierte, war jedoch auch diese Umstellung nicht von entscheidender Bedeutung für die Grundstruktur des Spiels. Erst der Wechsel von Terodde für Mattuschka und damit die Umstellung auf drei klare Sturmspitzen brachte Union eine kurze Druckperiode. Neuhaus bezeichnete diesen Wechsel im Interview mit Sky nach dem Spiel als „Brechstange“. In dieser Phase musste Jungwirth konsequent auf der Höhe der Innenverteidigung agieren, was Latza zur alleinigen Absicherung gegen die nachrückenden Mittelfeldspieler von Union machte. Dieser Druck auf den Liganeuling resultierte in zwei unnötigen Foulspielen in Strafraumnähe zwischen der 83. min und 86. min, von denen das zweite zum Ausgleich führte. Neururer reagierte, indem er den müde wirkenden Tasaka durch den Innenverteidiger Eyjolfsson ersetzte. Jungwirth konnte Latza wieder im Mittelfeld unterstützen.

Das hohe Aufrücken der Union lieferte den Bochumern natürlich auch Raum für Konter. Durch dynamische Bewegungen von Aydin und Cwielong konnte Bochum so den Zehnerraum vor der Viererkette der Berliner nutzen, um einen schnellen Seitenwechsel durchzuspielen, dessen abschließende Flanke von Freier zu einem unnötigen Handspiel von Eggimann und somit zum Führungstreffer durch den Elfmeter von Maltritz führte. Hierbei kam es Bochum auch zu Gute, dass durch die zwei kopfballstarken Sturmspitzen Sukuta-Pasu und Aydin der Druck auf Unions Innenverteidiger im Strafraumraum erhöht wurde. Mit der Einwechslung eines weiteren Innenverteidigers (Acquistapace für Cwielong) konnte das Bochumer Trainerteam den Sieg über die Zeit retten.

Sonntag, 14. Juli 2013

VfL Bochum – Aston Villa FC 1:1 inkl. Saisonvorschau


Der VfL Bochum beging den Abschluss seiner Saisonvorbereitung mit einem Testspiel gegen den Aston Villa FC. Cheftrainer Peter Neururer kündigte an, in diesem Spiel seine bevorzugten Formationen zu testen und die Spieler auf den Rasen zu schicken, die auch in der nächsten Woche gegen Union Berlin spielen sollen. Aus diesem Grunde möchte ich das Spiel nutzen, den aktuellen Kader zu analysieren und eine Vorschau auf die neue Saison zu wagen.
 

Die Rahmenbedingungen

  

Der Gegner Aston Villa FC bestreitet zurzeit seine Saisonvorbereitung in Deutschland. Dabei liegt der aktuelle Fokus auf dem Aufbau der Fitness, da die Saison in England erst einen Monat später als die 2. Bundesliga startet. Paul Lambert, der Trainer der Gäste, nutzte die Partie entsprechend, um vielen Spielern Einsatzzeiten zu gewähren. In der Pause wurde komplett durchgewechselt. Unter anderem kamen auch die U21-Spieler Burke, Carruthers, Gardner und Webb zum Einsatz. Dafür liefen bekannte Größen, wie beispielsweise Given, Bent, Benteke oder Agbonlahor, gar nicht erst auf.

Villas Formation war geprägt durch zahlreiche Mannorientierungen. Gegen das 4-3-3 der ersten Halbzeit sah es defensiv oft ebenfalls nach 4-3-3 aus, während es in der zweiten Halbzeit durch das Verfolgen des Abkippens von Bulut eher wie ein 4-4-2 mit Raute wirkte. Offensiv gab es zwei klare Stürmer und klare Pärchenbildung auf den Außen, so dass die Grundformation wohl ein 4-4-2 darstellte.
  
Abbildung 1: Grundformationen in der ersten Halbzeit

 

Das Neururer’sche 4-3-3 oder die Rückkehr zur schottischen Furche

 
In der ersten Halbzeit schickte Neururer erstmals in der Vorbereitung die Mannschaft in einem 4-3-3 / 4-3-2-1 auf den Rasen. Die beiden hängenden Spitzen bzw. Zehner Cwielong und Tasaka legten ihre Positionen dabei sehr zentral aus. Defensiv sollte der Spielaufbau auf die Außenverteidiger gelenkt werden, um dort ins Pressing überzugehen. Offensiv war dies durch das extreme Aufrücken der Außenverteidiger Bastians und Freier bedingt. Diese schoben schon bei Ballbesitz der Innenverteidiger auf die Höhe von Tasaka und Cwielong vor, so dass eine Art 2-3-5 Aufbauformation entstand. Die grundlegende Spielidee war es wohl, durch die breite Positionierung von zwei der drei Mittelfeldspieler, zumeist Latza und Tiffert, die Außenverteidiger herauszulocken oder Villa zum starken Verschieben zu zwingen, um dann mit schnellen Diagonalbällen auf die hohen AV in den Rücken der Abwehr zu kommen. Diese Idee wurde jedoch aufgrund der flexibel ausgelegten Mannorientierungen bei Aston Villa FC blockiert. Der ballferne Außenverteidiger wurde zwar häufig freigelassen, um die Abwehrkette beim ballorientierten Verschieben horizontal kompakt zu halten. Durch den ständigen Druck auf die Innenverteidiger und die 6er/8er hatten diese jedoch nie die Zeit, präzise Diagonalbälle zu spielen. Die hektisch geschlagenen Bälle konnten selten erlaufen oder schnell genug kontrolliert werden.

Der VfL versuchte nach etwa 10-15 min, die Mittelfeldspieler durch eine tiefere Positionierung im Aufbauspiel etwas vom Gegnerdruck zu befreien. Außerdem sollte wohl die Gefahr durch die Konter Villas, die es ebenfalls mit langen Bällen hinter die aufgerückten Außenverteidiger versuchten, gebannt werden. Erst kippte Jungwirth zwischen die Innenverteidiger ab, später versuchte es Tiffert mit einem Herausrücken in die Lücke rechts hinter Freier. Defensiv standen sie dadurch sicherer, offensiv ging der Plan nicht auf, da beide einfach von ihren Gegenspielern mannorientiert verfolgt wurden. Der VfL verpasste es, die Mannorientierungen durch raumschaffende Läufe auszuhebeln. Insbesondere Tasaka und Cwielong hätten die enorme Enge im Zentrum durch ausweichende Bewegungen auflösen müssen, sie verharrten jedoch zumeist statisch in der Halbposition und versperrten somit wichtige Räume. Die starren Positionswechsel zwischen der linken und rechten Halbposition waren zu einfallslos. Sakuta-Pasu zeigte vereinzelt gute ausweichende Bewegungen auf die rechte Außenbahn, wodurch er eine der wenigen Torchancen in der ersten Hälfte einleitete. Auch Latza konnte mit gezielt eingestreuten Diagonalläufen in die Lücken neben den Außenverteidigern Gefahr erzeugen. Gefühlt fanden alle Offensivaktionen des VfL über die Außenbahnen statt.
  
Typische Stellung im Spielaufbau des VfL in der 1. Halbzeit: Jungwirth wird direkt von seinem Gegenspieler gepresst. Ebenso der hinter Freier abgekippte Tiffert. Gezielte Diagonalbälle auf den beim Verschieben freigelassenen Bastians sind aufgrund des hohen Gegnerdrucks nicht möglich.
 
Defensiv war das 4-3-3 sehr stabil. Villa versuchte ebenfalls mit hohen Außenverteidigern auf den Flügeln durchzubrechen. Hier konnte jedoch durch die beiden recht breit verteidigenden 8er sowie die Außenverteidiger und Flügelstürmer zumeist in Überzahl agiert werden. Insbesondere Jungwirth, aber auch Latza, zeigten eine sehr gute Dynamik im Pressing und setzten die Aufbauspieler von Villa früh unter Druck. Insgesamt ergab sich so in der ersten Hälfte ein sehr zerfahrenes Spiel mit vielen Zweikämpfen aber wenigen Torchancen.
  

Die Rückkehr zum 4-4-2 – gewohntes System, doch keine Automatismen

 
In der zweiten Spielzeit stellte Neururer auf das unter ihm gewohnte 4-4-2/4-4-1-1 System um. Dazu musste der aktive Latza Platz für Aydin machen, der seine übliche Rolle als hängende Sturmspitze einnahm. Diese Änderung erzeugte offensiv wenig Besserung, resultierte jedoch zu Beginn in einer hohen Anfälligkeit auf den Außenbahnen. Es schien dabei so als rechneten Cwielong und Tasaka noch mit einer Absicherung durch die breiten 6er, welche jedoch aufgrund der Umstellung auf eine Doppelsechs nicht mehr gegeben war. Tifferts fehlende Dynamik tat ihr übriges. Beim Gegentor von Helenius wurde erst Freier auf rechts und dann Bastians auf links aufgrund fehlender Unterstützung im Eins gegen Eins vernascht. Die abschließende Flanke hätte Luthe zwar eventuell abfangen können, ähnliche Situationen hatte es in der ersten Halbzeit jedoch nicht gegeben. Es blieb aber bei einer kurzen Phase der defensiven Instabilität. Cwielong und Tasaka intensivierten ihre defensiven Bemühungen und durch das fast dauerhaft praktizierte Abkippen des für Tiffert eingewechselten Bulut, konnten Maltritz und Fabian weiter Herausrücken, um den Außenverteidigern beim Ersticken der Flanken zu helfen.
  
Grundformationen in der zweiten Halbzeit
 
Erschreckender als die defensiven Auswirkungen war jedoch die Veränderung des Offensivspiels. Das 4-4-3/2-3-5 wurde zwar sehr schablonenartig und statisch interpretiert, durch die fluid agierenden 6er/8er und die dauerhafte Besetzung der offensiven Außen war jedoch zumindest eine gesunde Grundstruktur zu erkennen. Im 4-4-2 waren die Bewegungen zwischen den nun breiter agierenden Tasaka und Cwielong und den Außenverteidigern völlig ohne Abstimmung. Wenn Bastians und Freier aufrückten wurde ein raumschaffendes Einrücken meist verpasst. Man stand sich sprichwörtlich auf den Füßen. Es ist zu vermuten, dass die Einwechslung von Bulut, mit dem von da an praktizierten Abkippen zwischen die Innenverteidiger, durch die Rückkehr zu den starren Mechanismen der ersten Hälfte Abhilfe schaffen sollte. Üblicherweise sollen die Außenverteidiger durch die breit spielenden Innenverteidiger nach vorne geschoben werden, was wiederum die Außenstürmer in die Halbräume befördert. Dies hätte also im Aufbauspiel zu einem 3-1-6 geführt, was sich gegenüber dem 3-2-5 aus der ersten Hälfte nur durch den Austausch eines Mittelfeldspielers durch einen Stürmer unterscheidet. Allerdings schienen die Spieler dieser extrem offensiven Formation nicht zu trauen. Insbesondere Freier rückte nur zaghaft auf, so dass er nun häufig sehr nah bei Maltritz agierte.

Die Kombination aus dem Abkippen von Bulut und der extremen Mannorientierung bei Villa führten jedoch zu einem großen Loch im rechten Halbraum. Gardner folgte Bulut, während Bacuna durch das Pärchen Freier/ Maltritz gebunden war. Diesen Freiraum versuchten insbesondere Cwielong und Aydin zu bespielen. Ersterer konnte hierbei teilweise überzeugen, indem er mit dem Ball Fahrt für seine Dribblings aufnahm. So bereitete er beispielsweise auch die Chance von Tasaka vor. Letzterer wirkte extrem schwach und verlor viele Bälle, wobei jedoch die fehlenden Läufe von Freier und Cwielong Aydin auch wenige Optionen gaben. Jungwirth war allein im Zentrum völlig abgemeldet.
  

Ausblick auf die Saison 2013/2014

 
Auch wenn Aston Villa FC nicht nach einem typischen deutschen Zweitligaverein klingt, so erlaubt das Spiel doch einige Folgerungen für die kommende Saison. Durch das Fehlen der Starspieler Villas und die Komplettrotation zur Halbzeit war die individuelle Qualität nicht exorbitant höher. Mannorientierungen und konsequentes Flügelspiel werden sicherlich auch bei vielen der kommenden Gegner anzutreffen sein.

Defensiv scheint der VfL gut auf die Saison vorbereitet. Das Pressing im 4-3-3 wirkt sehr stabil. Die Mannschaft verschiebt sehr diszipliniert und kollektiv. Durch die enge Positionierung der vorderen Dreierreihe gibt es kaum Wege ins Zentrum. Insbesondere Cwielong versteht es, durch das Belauern von Passwegen das Pressing auf die Außenverteidiger zu lenken und sofort Druck aufzubauen. Jungwirth und Latza machen einen sehr dynamischen und bissigen Eindruck. Tiffert wirkt noch etwas müde, kann jedoch Vieles durch sein gutes Stellungsspiel wettmachen. Auch in der 4-4-2-Defensivordnung sah Bochum halbwegs stabil aus. Das Zentrum wird jedoch nicht so konsequent dominiert wie im 4-3-3, vor allem da Jungwirth seine Dynamik aufgrund der mangelnden Absicherung etwas zügeln muss und Aydin die Wege ins Zentrum nicht mit der Konsequenz wie Cwielong und Tasaka abkappte. In der Viererkette hinterließ Fabian nach seiner langen Verletzung einen guten Eindruck – ebenso wie Maltritz. Wenn es überhaupt eine Anfälligkeit gibt, dann die Lücken hinter den weit aufrückenden Außenverteidigern. Freier und Bastians wirken auch in Eins gegen Eins-Situationen auf den Flügeln nicht immer stabil.

Die große Baustelle für den Saisonstart ist das Offensivspiel. Es ist davon auszugehen, dass der extreme Flügelfokus beibehalten wird. Ein kreativer zentraler Spieler für das letzte Drittel fehlt im Kader. Morabit scheint noch nicht bereit für die Startaufstellung zu sein. Er blieb das gesamte Spiel auf der Bank. Tiffert konnte noch nicht die Eignung nachweisen, das Spiel aus der Tiefe zu ordnen. Für ein erfolgreiches Flankenspiel muss die Abstimmung zwischen den Außenstürmern und -verteidigern noch deutlich verbessert werden. Diese war entweder zu statisch (im 4-3-3) oder gar nicht erst zu erkennen (4-4-2). Die Dribbling- und Abschlussstärke von Cwielong und Tasaka ließ sich gegen Aston Villa FC nur erahnen, obwohl Tasaka der späte Ausgleich glückte. Im Sturm war Sakuta-Pasu zwar bemüht, Offensivgefahr strahlt er jedoch kaum aus. Aydin ist noch nicht in der Form, als hängende Spitze Akzente zu setzen.

Nach dem Eindruck des heutiges Spiels scheint das 4-3-3 somit besser geeignet, die aktuellen offensiven Defizite zu beheben. Der Einsatz von abkippenden bzw. herausrückenden Sechsern ist in diesem System nicht gleichbedeutend mit einer Aufgabe des Zentrums. Das weite Aufrücken von Bastians und Freier ist notwendig und kann gleichzeitig besser kompensiert werden. Wird das Wechselspiel zwischen den Außenstürmern und –verteidigern noch flexibler und dynamischer ausgelegt, beispielsweise durch späteres Einrücken der Außenstürmer und diagonale Läufe der Außenverteidiger, gibt es noch deutliches Steigerungspotenzial. Die Dynamik von Latza und Jungwirth kann in diesem Kontext nette Synergien erzeugen. Eine weitere Option wäre es, Tasaka auf einer der 8er-Positionen einzusetzen, um die Kreativität aus der Zentrale zu steigern. Bastians könnte dann eine breitere Rolle als Außenstürmer spielen. Seine Position in der Viererkette würde Butscher übernehmen.