Mittwoch, 27. November 2013

DSC Arminia Bielefeld – VfL Bochum 0:2

Mit einer abgeklärten Defensivleistung und guter Effizienz im Abschluss kann der VfL ohne große Mühe die Punkte aus Bielefeld entführen. Peter Neururer bekommt die Probleme in der Absicherung immer besser in den Griff. Die Ideen und Anpassungen von Stefan Krämer gehen jedoch nicht ganz auf.

Grundformationen


Für Peter Neururer gab es keinen Grund, die erfolgreiche Mannschaft der letzten vier Spiele großartig zu ändern. Lediglich der wiedergenese Felix Bastians verdrängte den erst kurzfristig vor dem Spiel von der Länderspielreise zurückgekehrten Piotr Cwielong. Die Arminia hatte zwar den lange verletzten und stark vermissten Fabian Klos bereits wieder auf der Bank, doch in der ersten Halbzeit ließ Bielefelds Trainer Stefan Krämer den eigentlichen Abwehrspieler Manuel Hornig in der Spitze ran, um einen Zielspieler für lange Bälle zu haben.
  
Grundformationen zu Spielbeginn
 

Spielidee des VfL


Im Vorbericht hieß es „Bochum ist taktisch nahezu lächerlich vorhersehbar“. Diese etwas überzogene Spitze wird von Peter Neururer in den letzten Spielen immer mehr wiederlegt. Die in den ersten Spielen aufgetretenen Probleme, besonders im Aufbauspiel und in der Konterabsicherung sowie beim Verschließen der defensiven Zwischenlinienräume, werden durch gut auf den jeweiligen Gegner abgestimmte Mechanismen mittlerweile sehr gut kompensiert. So wurden die offensiven Außenverteidiger Kaiserlauterns mit Mannorientierungen der äußeren Mittelfeldspieler und die situative Bildung von Fünfer- und Sechserketten gekontert. Gegen Köln wurde durch eine gute Angriffslenkung und ein positionstreueres Verhalten der Sechser der Zwischenlinienraum verriegelt. Die Angriffsbemühungen wurden über lange Bälle auf Sukuta-Pasu und eine gute Staffelung für die zweiten Bälle initiiert und sehr gut abgesichert. Gegen Bielefeld gab es alle diese Mittel in kombinierter Form zu sehen. Darauf soll in den folgenden Paragraphen näher eingegangen werden.

Verschließen der Zwischenlinienräume durch abgeklärteres Defensivspiel


Wie in den letzten Spielen, stellte sich der VfL in der Defensive sehr tief auf. Beide Viererketten standen maximal 10 m auseinander. Dabei war es interessant, wie der VfL zwischen zonenbasierten und konsequenten Mannorientierungen sowie raumsichernden Positionen variierte. Zweikämpfe werden nur noch in Überzahlsituationen, also vor allem rund um den Strafraum, aggressiv geführt. Dieses Vorgehen galt sowohl für die organisierte Defensive wie auch im Umschaltmoment. Es ist völlig konträr zum individuellen Gegenpressing, das in den vorherigen Monaten praktiziert wurde. Auf den Außen und in höheren Zonen lag das Hauptaugenmerk auf lenkenden oder verzögernden Aktionen. Falls Bielefeld mit den Sechsern oder gar den Innenverteidigern in die offenen Flügelbereiche des 4-4-2 vorstoßen wollte, hatte der jeweils ballnahe Bochumer Außenspieler die Aufgabe, passiv zurückzuweichen, den Bielefelder nach außen zu leiten und die Mitte zu versperren. Hier wurde im eigenen Drittel dann meist mannorientiert in Gleichzahl agiert. Ein Doppeln war fast nie zu sehen. So konnte der ballnahe Außenverteidiger den Kontakt zu den Innenverteidigern halten. Gleichzeitig rückte der ballferne Außenverteidiger weit ins Zentrum. Speziell gegen Bielefeld machte sich wohl auch bemerkbar, dass eine starke Überzahl gegen den stürmenden Innenverteidiger Hornig sichergestellt werden sollte. Mit Felix Bastians im linken Mittelfeld gab es einen sehr disziplinierten und spielintelligenten Akteur, der gezielt zwischen mannorientiertem Verfolgen, raumorientierten Blocken und lenkendem Stellen variierte. Sein Gegenüber Yusuke Tasaka ist weniger spielintelligent, wurde jedoch durch eine klare Manndeckungsaufgabe in die Pflicht genommen. Ein Zocken wie beispielsweise im Spiel gegen St. Pauli war somit nicht möglich. Es gab Szenen, in denen Tasaka Läufe in den Rücken des vorgerückten Rechtsverteidigers Paul Freier verfolgte und somit sogar kurzzeitig die Position als Außenverteidiger einnahm (5. min). Die lenkenden raumorientierten Aktionen wurden auf der rechten Seite von Tiffert initiiert, der dann oft leicht horizontal pendelnd vor dem zentral absichernden Jungwirth agierte.
  
Beispielsituation für das erfolgreiche Verschließen der Zwischenlinienräume. Ilsö und Jungwirth verfolgen ihre Gegenspieler mannorientiert, um Unterzahlen zu verhindern und ein Herausrücken der Abwehrspieler zu vermeiden. Bastians sichert gleichzeitig die Passwege entlang der Linie und ins Zentrum. Acquistapace hält den Kontakt zu Fabian und Maltritz.Tiffert und Tasaka sichern den Raum vor der Abwehrkette.
  

Aufbauspiel? Nein Danke, wir haben Sukuta-Pasu!


Die zweite große Baustelle des VfL war das berechenbare und somit durch abgefangene Pässe oder gut hergestellte Pressingsituationen des Gegners hochriskante Aufbauspiel. Diese Baustelle wurde geschlossen, indem ein spielerischer Aufbau aus der Abwehr völlig verweigert wurde. Sobald sich die Möglichkeit bat, wurde mit langen Bälle auf Sukuta-Pasu oder in die freien Räume auf den Außen operiert. In diesen Situationen zeigte sich die ganze Klasse des aus Kaiserslautern ausgeliehenen Stürmers. Er zeigt stets gut getimte Bewegungen auf die Flügel und ins Mittelfeld, die er meist so weit ausführte, dass die Innenverteidiger ihn in das Mittelfeld oder an die Außenverteidiger übergaben. Diese kurzen Phasen reichten aus, damit Sukuta-Pasu die Bälle festmachen und ablegen konnte. Damit bespielten die Bochumer auch die Bielefelder Mannorientierungen durchaus geschickt, indem sie die Sechser oder Außenverteidiger herauslockten und dadurch einige Male große Distanzen zwischen Mittelfeld und Abwehr bzw. zwischen Innen- und Außenverteidigung aufzogen. Dabei war die Staffelung für diese Bälle durch Einrücken von Bastians und Tasaka sehr gut. Durch die hohe Stellung von Ilsö, der anders als im Spiel gegen Köln sich bei den Ablagen nicht hinter dem Ball positionierte, und diagonale Läufe aus der zentralen Stellung konnte nach der Ballsicherung sofort weiterer Raumgewinn erzielt werden.
  
Stellung bei einem langen Ball aus der Abwehr auf Sukuta-Pasu, der aus dem Zentrum weit in den rechten Halbraum ausweicht. Tasaka attackiert direkt den Freiraum hinter dem aufgerückten Außenverteidiger, falls Sukuta-Pasu den Ball per Kopf weiterleiten kann. Tiffert, Jungwirth und Bastians besetzen eng gestaffelt das Zentrum, um gegen schnelle Gegenstöße abgesichert zu sein. Ilsö steht für direkte Vertikalpässe nach Ablagen im Zwischenlinienraum bereit.
  

Dribblings gegen das Gegenpressing

 
Eine zentrale Frage des Vorberichts thematisierte das Gegenpressing gegen Bochums Sechser Florian Jungwirth. Dieses war letztendlich kein so entscheidender Faktor, da Jungwirth aufgrund von Bielefelds Spielaufbau, der ebenfalls mit vielen langen Bällen operierte, und der eher passiven Spielweise der Bochumer nicht der zentrale Ballgewinner war. Stattdessen wurden die meisten Bälle von den Innenverteidiger herausgeköpft, die dann zumeist versuchten, die Situationen über die spielstarke rechte Seite aufzulösen. Dabei wurden insbesondere die Dynamik und Dribblings von Freier und Tasaka genutzt, wobei jedoch bei Möglichkeit auch wieder lange Bälle als Mittel dienten. Wurden die Bälle ins Zentrum geklärt, so versuchte auch Jungwirth durch Sololäufe das Pressing zu umgehen. Dies gelang ihm jedoch nicht immer. Hier spielte auch eine spezielle Charakteristik des Bielefelder Pressings eine Rolle. Die zweiten Bälle wurden nicht direkt attackiert. Stattdessen wurde gewartet, bis der Bochumer Spieler den Ball kontrolliert und sich nach einer Passoption umsieht. In diesem Moment schwärmten die Bielefelder aggressiv aus und stellten mannorientiert alle Passmöglichkeiten zu. Dribblings gegen den ballattackieren Bielefelder waren somit oft die einzige Möglichkeit. In den ersten 10 min wurde dies von Bielefeld herausragend gemacht, danach fehlte diesem Pressing etwas die Dynamik. Das Tor zum 0:1 fiel nachdem Tasaka eine solche Pressingsituation mit einem Dribbling und einem Pass in den freien Raum auflöste.
  
Die Szene vor dem 0:1. Nach einem Ballgewinn kann Tasaka den Ball sichern. Er wird direkt von vorn und von hinten aggressiv attackiert. Gleichzeitig sind alle ballnahen Anspielstationen mannorientiert zugestellt. Tiffert nutzt diese Eigenart des Bielefelder Pressings und zieht Tasaka den Raum ins Zentrum frei, den dieser mit einem Dribbling ansteuert. Bielefelds rechter Mittelfeldspieler orientiert sich darauf  mannorientiert an Jungwirth, so dass Acquistapace nach dem Pass frei die gesamte Linie entlang laufen kann.
 
Bei Tasaka erzeugte diese Art der Befreiung gegen einzelne Gegenspieler wohl zu viele positive Energien. Er stürzte sich auch im Offensivdrittel häufig allein gegen 3-4 Leute in Dribblings. Dabei gab es jedoch, anderes als in der damaligen Ausrichtung mit starken Überladungen und dynamischer Absicherung, kaum eine Chance auf Abpraller bei Ballverlusten. Hier traten die allgemein nicht immer gut gestaffelten Strukturen des VfL im freien Spiel hervor, da die unterstützenden Spieler sich zu flach in letzter Linie positionierten.
 

Der Beitrag von Felix Bastians


Felix Bastians stabilisierte nicht nur die Defensive. Auch offensiv zeigte er interessante Bewegungen. Die langen Bälle Bochums zielten meist auf den rechten Halbraum (siehe Abbildung bei 00:43). Trotz seiner recht linearen Interpretation des Außenverteidigers klebte er keinesfalls stark an seiner linken Seite, um für Verlagerungen bereit zu stehen. Allerdings war er auch kein konstant nach rechts gehender Akteur, der sich in die Überladungen des angespielten Raums eingebunden hätte, um die Kompaktheit in diesen Bereich zu stärken. Vor allem bestand seine Aufgabe scheinbar darin, auf chaotische Situationen zu warten und alle möglichen Freiräume anzusteuern, die sich durch den etwas hektischen Spielcharakter und die Bielefelder Mannorientierungen auftaten. Weil Ilsö und Sukuta-Pasu einige Male auswichen und Feick durch Tasaka ins Zentrum gezogen wurde, ergaben sich in diesen Bereichen – zu einer der beiden Seiten von Salger – häufig größere Schnittstellen, in die Bastians aus seiner zentraleren Position hineinstarten konnte. So diente er einige Male als Ablagestation in letzter Linie, die situativ zur Grundlinie starten konnte, sorgte aber meistens für Tiefe im Bereich um das Strafraumeck.
   
Situation vor der Flanke zum 0:1. Acquistapace hat nach seinen Sololauf auf Jungwirth abgelegt. Dieser wird von zwei freien Bielefeldern nur gestellt. Dies liegt auch an Felix Bastians, der aus einer absichernden zentralen Position das linke Strafraumeck angelaufen hat und somit ballnah Verwirrung stiftete.
  

Wechsel

  
Mit der Einwechslung von Achahbar stiegen die spielerischhochwertigen Aktionen der Bielefelder erheblich. Der VfL war deshalb durch die Wechsel bemüht, die Stabilität wieder zu erhöhen. Der – trotz seines Tores – offensiv unglückliche Tasaka, der sich defensiv in der Manndeckung aufgerieben hatte, wurde durch Sechser Danny Latza ersetzt. Dafür wechselte Tiffert auf den rechten Flügel. Als auch Tiffert mit seinen Kräften am Ende war, wurde Freier ins Mittelfeld beordert, hinten sicherte Eyjolfsson als kopfstarker einrückender Außenverteidiger ab.

Fazit

  
Mit den aktuellen Anpassungen haben Peter Neururer und sein Team einen wichtigen Schritt getan und die Defensive gut stabilisiert. Durch die Aufgabe des konstruktiven Spielaufbaus zu Gunsten von gut vorbereiteten langen Bällen konnten auch die Schwächen in Aufbauspiel und Konterabsicherung kaschiert werden. Die Kehrseite dieser Taktik ist jedoch die extreme Abhängigkeit von Sukuta-Pasu, der nun bereits seit einiger Zeit an der Grenze zur Gelbsperre wandelt. Auch im Ausspielen der Kontersituationen gibt es noch einige Luft nach oben. In den kommenden Woche besteht also vor allem bezüglich gruppentaktischer Mittel für das Aufbau- und Umschaltspiel Trainingsbedarf.

Freitag, 22. November 2013

Vorschau: DSC Arminia Bielefeld - VfL Bochum

Der 15. Spieltag der zweiten Liga beginnt unter anderem mit der Partie des VfL Bochum bei der Arminia aus Bielefeld. Zusammen mit Bielefeld-Experte TR von der Spielverlagerung habe ich ein wenig über das Spiel diskutiert. Die Ergebnisse dieser Diskussion möchte ich hier als kleinen taktischen Teaser auf das Spiel zusammenfassen.
  

Grundsituation

  
Trotz der unterschiedlichen Ausgangsbasis bezüglich der Punktausbeute in den letzten Spielen weisen beide Teams eine recht ähnliche Ausrichtung auf:
  • Tiefes Mittelpressing im 4-4-2
  • Offensivprobleme durch schlechte oder inkonstant ausgenutzte Strukturen und vorzeitige lange Bälle im Spielaufbau
  • Kompensation durch Flanken und Präsenzspiel (Überladen von Seiten und Strafraum)
  • Hohe Außenverteidiger im Aufbau
  • Chaotische Elemente durch Mannorientierungen und individuelles Herausrücken im Gegenpressing
     

Kernfragen

  
Die Bochumer fühlen sich deutlich wohler, wenn sie das Spiel nicht aktiv gestalten müssen, sondern auf den Gegner reagieren können. Der Einsatz von Bastians im Mittelfeld und die Worte von Stefan Krämer deuten darauf hin, dass dies heute Abend möglich sein wird. Während Peter Neururer die taktische Ausrichtung beibehält, will Stefan Krämer mutig nach vorne spielen. Ob Bielefeld tatsächlich dominant auftreten kann, hängt auch von den folgenden Aspekten ab:
  • Wer spielt wann lange Bälle?
    Bielefeld hätte im geordneten Aufbau theoretisch die Mittel das Bochumer Vorgehen auf den Außen mit einem vorrückender Außenverteidiger und einem stellenden äußeren Mittelfeldspieler auszunutzen. Hier kann Hilles Interpretation auf Außen hilfreich sein, die geweitete Schnittstelle zwischen Innen- und Außenverteidiger durch horizontale Sprints des Bielefelder Stürmers hinter den herausgerückten Außenverteidiger zu bespielen. Insbesondere Achahbar scheint hierfür geeignet.
  • Wie funktioniert das Gegenpressing der Bielefelder, insbesondere gegen Jungwirth?
    Jungwirth ist der zentrale Balleroberer in Bochums Mittelfeld. Er zeigte jedoch zuletzt Probleme in der Ballverteilung, wenn er nach seinen Ballgewinnen direkt gegengepresst wird. Bielefeld fächert im Aufbauspiel weit auf und bietet somit Räume an. Das Gegenpressing wird also eine zentrale Rolle spielen.
  • Wie verteidigt Bochum gegen die hohen Bielefelder Außenverteidiger?
    Hier ist die Frage ob es wieder Mannorientierungen der Mittelfeldspieler gegen die Außenverteidiger geben wird, wie im Spiel gegen Kaiserslautern. Falls ja, müssten die Bochumer Außenverteidiger wiederum die Räume vor der Abwehrkette durch gutes Herausrücken verteidigen? Ein passiveres Vorgehen gegen die Außen analog zum Spiel gegen Köln erlaubt eine bessere Raumkontrolle, könnte jedoch gefährliche Schnittstellenpässe zulassen.
  • Wie passt sich Bielefeld an die Bochumer an?
    Stefan Krämer ist bekannt für seine Matchpläne. Es wird interessant sein, zu sehen, wie Bielefeld gegen Bochums starke rechte Seite (Tiffert, Tasaka, Freier, Sukuta-Pasu) vorgeht? Eventuell gibt es einen Einsatz eines defensivstarken Flügelspielers und eine Asymmetrie im Mittelfeld. Außerdem ist offen wie sich die Bielefelder Mannorientierungen im Mittelfeld gegen die vertikalen Laufwege Jungwirths in Kombination mit den diagonalen Bewegungen Tifferts gestalten.
  • Nachrücken auf den zweiten Ball?
    Bochum geht wahrscheinlich direkt drauf, Bielefeld überlässt auch mal und versucht vorhersehbare Konter- bzw. Aufbauaktionen zu provozieren. Hierbei kommen ihnen die klaren Rollen von Sukuta-Pasu als Wandspieler und Ilsö und Tasaka als Umschaltspieler entgegen.
     

These


Aufgrund der Probleme und Charakteristika der Bielefelder wird es wohl ein seltsames Spiel mit evtl. abrupten Wechseln von schlecht ausgespielten und chaotischen Phasen mit ruhigeren und teils langweiligen Abschnitten. Bochum ist taktisch nahezu lächerlich vorhersehbar, während Bielefeld sich häufig so extrem auf den Gegner anpasst, das die Vorgehensweise teilweise verrückt wirkt. Dabei sind die Spielercharaktere für diese Verrücktheit wiederum zu konservativ, was dieses Spiel sehr unberechenbar macht.

Sonntag, 10. November 2013

VfL Bochum - 1. FC Köln 1:0


Anpassungen beim VfL Bochum

  
Der VfL verteidigt gewöhnlich in einem sehr lenkenden Mittelfeldpressing und sucht Zugriff auf den Außenbahnen. Dazu rücken die Sechser weit auf und die äußeren Mittelfeldspieler weit ein. In diesem Spiel gab es einige kleinere Anpassungen, um das Offensivspiel der Kölner zwischen den Linien einzuschränken. Die Sechser blieben lange Zeit sehr zentral und nah an der Viererkette. Trotz der Aufstellung von Tiffert gab es nur selten das 4-1-3-2 im Pressing zu sehen. Auch die Außenspieler rückten nicht so weit ein wie gewöhnlich und bleiben in der defensiven Grundformation mit den Sechsern in einer Kette. Versperrten Sukuta-Pasu und Ilsö also beim zentralem Ballbesitz im Kölner Aufbauviereck aus den Innenverteidigern und Sechsern etwa auf Höhe der Mittellinie den Weg in die Mitte wurde sinnbildlich eine 4-4-0-2 Defensivformation hergestellt. Sobald einer der Kölner Sechser oder Innenverteidiger mit Ball in die vertikal zentralen Halbräume einrückte, wurde dieser vom ballnahen äußeren Mittelfeldspieler innen gestellt, so dass kein Pass in den zentralen Raum vor der Abwehr möglich war. Gleichzeitig rückt der ballnahe Außenverteidiger auf, um die vom Mittelfeldspieler angebotene Außenbahn zu verstellen. Zumeist mussten die Kölner die Angriffe abbrechen oder unter dem Druck der beiden Außenspieler den langen Ball suchen. Bei den wenigen Chancen der Kölner in der ersten Halbzeit (z. B. nach Flanke auf Helmes in der 24. min) gelang es den Kölner über gute Lochpässe der Sechser in den Raum hinter den stellenden Außenverteidiger durchzubrechen. Die zentralen Zwischenlinienräume waren tabu.
 
"Wir wollten ihnen mehr Ballbesitz geben und die Räume in der Tiefe besetzen."
Peter Neururer

Grundformationen zu Spielbeginn
   
Auch im Aufbauspiel war der VfL gut auf das Pressing der Kölner vorbereitet. Es wurde nicht wie üblich versucht, das Spiel über die rechte Außenbahn zu tragen. Stattdessen wurde das Pressing über gezielte lange Bälle auf Sukuta-Pasu überspielt. Bei diesen Bällen ließ sich Ilsö geschickt sehr tief fallen, um zusammen mit den einrücken Außenspielern Cwielong und Tasaka sowie einem aufrückenden Sechser Zugriff auf die zweiten Bälle herzustellen. Da die Kölner beim hohen Pressing oft herausrückten, um lokale Kompaktheiten vor dem Ball zu erzeugen, war dieses Mittel sehr passend und viele Bälle konnte so hinter die erste Linie gebracht werden. Sobald der Ball unter Kontrolle war, wurden die üblichen Mechanismen (Diagonalläufe von Tiffert, Überladung der rechten Seite) ausgespielt. Ilsö agierte dabei eher wie eine klassische 10 als wie eine hängende Spitze.
  
"Der VfL hat heute alles in die Waagschale geworfen, was wir im Vorfeld erwartet haben: Zweikampfstärke, Standards, lange Bälle"
Peter Stöger
  

Die Trainer reagieren

   
In den ersten 15 min der zweiten Hälfte behielt das Spiel die grundsätzlichen Strukturen bei. Köln versuchte vergeblich, Lücken in den Bochumer Defensivstrukturen zu finden. Bochum arbeitete weiterhin viel mit langen Bällen und schnellem Umschalten nach Ballgewinnen.
 
Grundformationen ab der 62. min

In der 62. min reagierten beide Trainer. Während Peter Neururer mit dem Außenverteidiger Felix Bastians für Tasaka positionsgetreu wechselte, um die defensive Stabilität auf den Außen noch weiter zu stärken, opferte Peter Stöger Linksaußen Slawomir Peszko, um mit Anthony Ujah eine zweite Sturmspitze zu bringen. Daniel Halfar wechselte von der zentralen auf die linke Offensivposition. Der 1. FC Köln spielte von nun an ein klares 4-4-2. Interessanterweise konnte Peter Stöger durch diesen Wechsel erstmal die Räume vor der Abwehr in Angriff nehmen. Diese wurden nun noch dynamischer besetzt. Lehmann und Gerhardt zeigten gut getimte Vorstöße und Halfar tendierte von der linken Außenposition häufig Richtung Zentrum. Entscheidender war jedoch die defensive Bindung der Bochumer Innenverteidiger. Während diese in der ersten Hälfte häufig durch aggressives Herausrücken die Kölner schon bei der Ballannahme entscheidend stören konnten, sorgte die höhere Präsenz des FC im Sturmzentrum für eine deutlich vorsichtigere Gangart. In mehreren Situationen warteten Fabian, Acquistapace und Maltritz in einer 2 zu 3 Überzahl lieber ab, als den Ballführenden im Zwischenlinienraum aggressiv unter Druck zu setzen. Auf diese Weise konnte Köln ein paar vielsprechende Situationen erzeugen.
  
Der Bochumer Siegtreffer fiel in dieser Phase somit gegen den Trend des Spiels. Nach einem riskanten aber für die Idendität des VfL Bochum typischen aggressiven Tackling konnte Acquistapace den Ball behaupten. Seine Flanke brachte Richard Sukuta-Pasu mit dem Rücken zum Tor gegen zwei Kölner erfolgreich ins Netz. In der Situation kam dem VfL zu Gute, dass Bastians seine Außenposition deutlich linearer als Cwielong oder Tasaka interpretierte und somit durch sein Hinterlaufen Acquistapace die entscheidende Sekunde für seine Maßflanke verschaffen konnte. Kaum ist Bastians wieder da, fallen auch wieder Tore über links ;-).
   

Eine Premiere: Der VfL im flachen 4-5-1

  
In der 77. min  stellte Peter Stöger erneut um. Für Außenverteidiger Miso Brecko kam Stürmer Kacper Przybylko. Marcel Risse spielte von nun an eine Art Flügelverteidiger, der die rechte Außenbahn komplett beackerte. Przybylko sollte die Präsenz im Rückraum und das Binden der Innenverteidiger weiter verstärken. Auch hier reagierte das Bochumer Trainerteam sofort. Danny Latza kam für Ken Ilsö und rückte ins defensive Zentrum, um die dort fehlende Präsenz wieder herzustellen. Tiffert und vor allem Jungwirth wurden entlastet und konnten im Pressing wieder bedingsloser herausrücken. Außerdem wurde Jungwirth von der Bürde des Spielaufbaus weiter entbunden. Der Bochumer Führungsspieler zeigte hier erneut Schwächen, die er aber mit teils begeisterungswürdigen Tacklings im Gegenpressing kaschieren konnte. Der VfL trat erstmals im flachen 4-5-1/4-1-4-1 mit herausrückenden Achtern an. Die Flügel wurden - auch mit der Einwechslung des Außenverteidigers Unur Bulut für Yusuke Tasaka in der 71. min - weiter verstärkt und die Präsenz im Rückraum war wieder hergestellt. Im Gegenzug wurde sich jedoch auf Unterzahlkonter, bei denen maximal einer der Außenspieler und einer der 8er mit aufrückte, beschränkt. Der VfL setzte voll auf die Verteidigung der knappen Führung.
 
Grundformationen ab der 85. min
  
Da der VfL mit diesem Wechsel den Kölnern die einzige Gefahrenquelle nahm, griff Stöger endgültig zur Brechstange. Mit Roman Golobart kam in der 85. min ein klarer Zielspieler, der von nun an mit hohen Bällen gesucht wurde. Die weiteren Stürmer lauerten im Rückraum auf Ablagen, um zum entscheidenden Abschluss zu kommen. Mit etwas Glück bei Luthes Aussetzer und viel Einsatz von Fabian und Co., die im wahrsten Sinne Kopf und Kragen riskierten, rettete der VfL die Führung über die Zeit.

Donnerstag, 7. November 2013

Das erste Drittel ist um: Mannschafts- und Krisenanalyse

Die ersten 12 Spiele sind um. Damit hat der VfL bereits mehr als das erste Drittel seiner Spiele bestritten. Nach dem erfolgreichen Saisonstart mit 11 Punkten aus 7 Spielen und den Siegen gegen die hochgehandelten Mannschaften von Union Berlin und Greuther Fürth folgten 4 Niederlagen gegen Mannschaften, gegen die ursprünglich Punkte eingeplant waren. Gegen den 1. FC Kaiserslautern konnte zwar glücklich ein Punkt geholt werden, Hoffnung auf ein schnelles Ende der Krise machte das Spiel jedoch nicht. In diesem Artikel wird auf Basis der ersten 12 Spiele die Spielidee des VfL extrahiert und analysiert, wo die Gründe für die aktuelle Ergebniskrise liegen könnten. Die Entwicklung im erfolgreichen Spiel gegen den FC Energie Cottbus wird später thematisiert.
 

Grundformationen

 
Peter  Neururer hält nicht viel von taktischen Konzepten. Für ihn gibt der Verein ein Konzept vor und der Trainer setzt dieses um. Bezogen auf den VfL Bochum bedeutet dies eine Orientiertung an den klassischen Tugenden der Arbeiterbevölkerung: Einsatz, Identifikation und Angriffslust. Aus diesem Grund wurde der Kader in der Sommerpause deutlich umgebaut. Spieler mit Bochumer Vergangenheit wie Butscher und Bastians wurden zurückgeholt, die Nachwuchsspieler Gyamerah, Bulut und Kreyer wurden in den Profikader berufen. Dazu kamen die ablösefreien Transfers von Latza und Tiffert, deren einwandfreier Charakter Neururer aus vorherigen Trainerstationen bereits bekannt war. Als zusätzliche Verstärkungen ohne direkte Bochumer bzw. Neururer-Vergangenheit kamen noch die hochgehandelten Richard Sukuta-Pasu, Ken Ilsö, Florian Jungwirth und Piotr Cwielong.

Der Grundformation misst Neururer ebenfalls keinen hohen Stellenwert bei. Schon bei seinem Amtsantritt gab er eine 4-4-2 Formation vor und fragte die Spieler, wo sie sich und ihre Kollegen in diesem System sehen. Ähnliches ist auch in dieser Saison zu beobachten. Der grobe Rahmen ist stets ein 4-4-2/4-4-1-1, doch durch die Wahl der Spieler können aus diesem Rahmen verschiedene Systeme entstehen.

Eine Übersicht der Aufstellungen ist in der folgenden Tabelle gezeigt. Diese orientiert sich in den Zeilen an den typischen Positionen im 4-4-1-1. Fixpunkte der Aufstellung sind die beiden Innenverteidiger Patrick Fabian und Marcel Maltritz, der Rechtsverteidiger Paul Freier, Florian Jungwirth als 6er sowie Richard Sukuta-Pasu als physisch präsente Sturmspitze. Die Wahl der Spieler auf den übrigen Positionen bestimmt maßgeblich die Ausrichtung auf dem Platz.
 
Übersicht der Aufstellungen des VfL Bochum in der Saison 2013/14 (Quelle: www.bundesliga.de)
  
Im ersten Spiel trat Felix Bastians als Linksverteidiger auf. Dieser hat einen ähnlich stark ausgeprägten Offensivdrang wie sein Gegenüber Paul Freier, so dass beide im Aufbau weit aufrücken. Umd dies zu ermöglichen lässt sich der 6er Florian Jungwirth zwischen die Innenverteidiger fallen. Es entsteht ein 3-1-4-2 bzw. 3-2-2-3 im Aufbau. Aufgrund der Verletzung Bastians und der frühen Degradierung des Nachwuchsspielers Fabian Holthaus spielten seit dem 4. Spieltag stets recht defensiv eingestellte Spieler auf der linken Außenbahn, so dass eine Asymmetrie im Spiel des VfL Bochums entstand. Florian Jungwirth konnte im Aufbauspiel vor der Abwehrkette verbleiben.

Besetzung des 4-4-2 mit Spielern in klassischer Rollenverteilung

Im zentralen Mittelfeld sind die Optionen durch die vorhandenen Spielertypen noch zahlreicher. Danny Latza  ist ein dynamischer Box-To-Box-Spieler, der zusammen mit Florian Jungwirth eine gestaffelte Doppelsechs bildet. Im Idealfall wechseln sich beide Spieler damit ab, abzusichern bzw. die Angriffe zu unterstützen. Christian Tiffert ist strategischer veranlagt als Danny Latza, muss dafür jedoch deutliche Abstriche bezüglich der Dynamik machen. Tritt er mit Jungwirth im zentralen Mittelfeld an, so übernimmt er fast dauerhaft die offensive Position. Ähnlich wie bei seinen Einsätzen als 10er bzw. hängende Spitze im 4-4-1-1 weicht er viel auf die Flügel aus und initiiert dort Überladungen für Kombinationen und Durchbrüche an die Grundlinie. Defensiv bildet er nur selten eine Doppelsechs, sondern versucht das Spiel mit Hilfe seiner höheren Position in aussichsreiche Räume zu lenken. Florian Jungwirth muss allein das defensive Zentrum sichern. Die dritte Option, die jedoch bisher nur im Spiel gegen den FC St. Pauli Anwendung fand, ist Yusuke Tasaka. Dieser verfügt über die größten technischen Qualitäten, so dass auch in den üblicherweise eng zugestellten zentralen Bereichen Lösungen finden kann. Darüber hinaus ermöglicht ihm die etwas tiefere Grundposition, mit Tempo auf die Flügel auszuweichen, wo er sonst meistens mannorientiert bereits bei der Ballannahme gestört wird. Defensiv besitzt er jedoch weder die strategische Qualität Tifferts noch die physische Qualität Latzas, so dass diese Lösung die instabilste Variante darstellt.

Herstellung einer Mittelfeld-Raute durch Anpassung der Spielerrollen im Zentrum und auf den Flügeln
 
Auf den Flügelpositionen sind Yusuke Tasaka und Piotr Cwielong aufgrund fehlender Alternativen meist gesetzt. Die mangelnde defensive Disziplin sowie Traingsausfälle aufgrund von Reisestrapazen ließen Peter Neururer jedoch auch andere Spielertypen in diesen Positionen testen. Der junge Onur Bulut verfügt nicht über die technische Klasse von Cwielong oder Tasaka ist jedoch ein flexibel einsetzbares Multitalent, das im Nachwuchsbereich bereits Außenverteidiger, 6er und Flügelstürmer gespielt hat. Er spielt deshalb häufig als stabilsierendes Element in der Mittelfeldraute, wobei er im Gegensatz zu Danny Latza in der anderen Halbposition seine Rolle höher und breiter ausübt. Aufgrund seiner Erfahrungen als Außenverteidiger sucht er eher den Durchbruch zur Grundlinie und die Flanke als Tasaka und Cwielong, die beide eher  diagonal agieren. Im Spiel gegen Düsseldorf und in den Schlußphasen vieler Spiele wurde ein dritter nomineller Stürmer auf einer der Flügelpositionen eingesetzt - entweder Sven Kreyer oder Ken Ilsö. In diesem Fall wird ebenfalls der andere Flügel von einem defensivstärkeren Spieler besetzt - Bulut gegen St. Pauli, Düsseldorf und Aue, Latza gegen Fürth. Durch diese Asymmetrie wird das ursprüngliche 4-4-2 eher in Richtung 4-3-3 ausgelegt.

Mit einem Stürmer (in diesem Fall Ken Ilsö) auf einer der Flügelpositionen tendiert die Aufstellung zu einem 4-3-3

Die Rolle als hängende Spitze bzw. 10er neben Sukuta-Pasu wurde bisher von Mirkan Aydin, Ken Ilsö und Christian Tiffert besetzt. Mirkan Aydin ergänzt die horizontalen Bewegungen Sukuta-Pasus auf die Flügel durch viele vertikale Läufe. Er ist dabei jedoch stark auf das Zentrum beschränkt. Auch Ilsö arbeitet eher vertikal, geht dabei jedoch auch häufig in die Halbräume zwischen Zentrum und Außenbahn. Somit ist er eher die kombinative, jedoch weniger durchschlagskräftige Lösung. Im Gegensatz dazu ist Christian Tiffert gelernter Mittelfeldspieler. Er interpretiert die Rolle somit deutlich anders als die beiden nominellen Stürmer Aydin und Ilsö. Er lässt sich häufig im Spielaufbau fallen und hilft dabei, die Ballzirkulation aufrecht zu erhalten. Im letzten Drittel agiert er dann sehr diagonal/ horizontal und hilft dabei die Flügel kombinativ zu überladen. Diese Variante ist somit eher für ein geduldiges Ballbesitzspiel geeignet.

Interpretation des 4-4-1-1 als Variante des 4-2-3-1 durch den Einsatz von Tiffert

Spielidee


Wie schon die Anpassung der spielerischen Ausrichtung, so ist auch die generelle Spielidee von Individualität und den Eigenschaften der Spielertypen geprägt. Tasaka und Cwielong haben offensive Freirollen, wechseln häufig die Flügel und tauchen auch situativ gemeinsam auf einem Flügel oder im Zentrum auf. Die Dynamik und Antrittsschnelligkeit von Paul Freier wird häufig genutzt, um den Ball aus dem ersten ins zweite Drittel zu befördern. Dabei sind durchaus auch Dribblings erlaubt. Mögliche Ballverluste werden durch die beiden 6er/8er abgesichert. Die starke Dynamik von Jungwirth und Latza wird dabei für ein extremes Vorwärtsverteidigen genutzt, wobei diese Form des Gegenpressings der 6er sehr individuell und ballorientiert umgesetzt wird. Es wird keine Rücksicht darauf genommen, ob im direkten Umfeld des Balles eine Über- oder Gleichzahl besteht. Viel mehr wird darauf spekuliert, dass der Überraschungseffekt in Kombination mit der in der 2. Bundesliga nicht so extrem ausgeprägten Pressingresistenz ausreicht, um ein rechtzeitiges Kontrollieren bzw. Weiterspielen des Balles zu verhindern. Mit diesen oft spektakulären Ballgewinnen wird auch der Wunsch der Fans nach Einsatz und Angriffslust befriedigt.

Ein weiteres dominantes Merkmal ist das extreme Verschieben zum ballnahen Flügel. Dieses wird sowohl im Pressing zur Erzeugung von Engen als auch im Offensivspiel für ein abgesichertes kombinatives Überladen der Seiten genutzt. Im geordneten Pressing wird dazu ein 4-4-2 oder gar 4-1-3-2 gebildet, welches einen starken Fokus auf Überzahlbildung rund um den gegnerischen Sechserraum aufweist. Sobald der Ball nach Außen gespielt wird, versuchen die beiden vordersten Akteure die Passwege zurück ins Zentrum abzuschneiden und den Ball auf einer Seite festzumachen. Der Flügelspieler und einer der Sechser stellen den Ballführenden und versuchen ihn weiter in die Enge zu lenken. Der zweite Sechser sichert dahinter ab.   

Die Entstehung des Ballgewinns vor dem Konter zum 0:1 in Fürth liefert alle Aspekte des Bochumer Pressings: Isolation auf der Seite, herausrückender Sechser (hier Jungwirth), manndeckende und tief verfolgende Außenspieler (hier Tasaka) und dynamische Vorstöße des Außenverteidigers (hier Freier)
 
Im weiteren  Verlauf rückt auch der ballferne Außenspieler bis ins Zentrum ein. Es befinden sich alle sechs Offensivakteure auf der ballnahen Seite. Wird der Ball vom Gegner weiter in die Bochumer Hälfte getragen, so rückt auch der ballnahe Außenverteidiger aggressiv in Richtung des Balles, der ballnahe Innenverteidiger sichert dahinter ab. In diesem Fall stehen häufig mehr als die Hälfte der Bochumer Spieler in einem Band von 10 m neben der Außenlinie. In den so erzeugten Engen soll durch aggressives Attackieren der Ball gewonnen und durch die Überzahl anschließend behauptet werden.
     
Situation vor dem Ballgewinn, der zu Latzas Führungstor im Spiel gegen Union Berlin führte
    
Wie für Peter Neururer üblich, haben Standardsituationen einen hohen Stellenwert beim VfL Bochum.  Bei der Begründung der Transfers vom Tiffert, Cwielong und Ilsö wurde deren Stärke bei ruhenden Bälle als wichtiges Kaufargument angeführt. Yusuke Tasaka und Paul Freier suchen häufig Dribblings im rechten Halbraum, um Freistöße herauszuholen. Bei Ecken sind stets einstudierte Varianten zu sehen. 4 der 13 Tore im Betrachtungszeitraum sind direkt oder in der Folge von Ecken und Freistößen aus dem Halbraum entstanden.
  
Entstehung und Klassifikation der erzielten Tore
   

Problemzone 1 - Aufbauspiel und Absicherung


Das wohl größte Problem des VfL Bochum unter Peter Neururer ist der geordnete Spielaufbau. Nur 3 Tore wurde bisher aus der Abwehr heraus durchgespielt. Durch den extremem Fokus auf die rechte Seite ist der VfL für den Gegner leicht auszurechen. Seit dem 2. Spieltag wurden alle Tore (inkl. Freistöße, ohne Ecken) über diese Seite eingeleitet. Dabei läuft das Aufbauspiel nach immer gleichem Muster. Durch Abkippen des 6ers zwischen die Innenverteidiger oder durch Aufrücken von Freier und Durchschieben der Innenverteidiger wird eine Dreierkette gebildet. Anstatt aber die Überzahl gegen die 1-2 Stürmer des Gegners zu nutzen und gezielte Flachpässe in den Zehnerraum zwischen die Abwehrketten des Gegners, die sogenannte red zone, zu spielen, landet der Ball mit hoher Sicherheit beim rechten Innenverteidiger Marcel Maltritz, der diesen entwender über den ballnahen Sechser oder direkt zum Rechtsverteidiger Paul Freier spielt. Aus dieser Zone wird dann versucht mit Hilfe von Dribblings, Kurzpasskombinationen und vertikalen Wechselläufen freie Flanken zu ermöglichen oder Fouls zu provozieren.

Typischer Spielaufbau des VfL Bochum anhand einer Szene gegen Dynamo Dresden. Nur durch ein zu ungestümes Attackieren der Dresdner sowie zwei individuelle Aktionen von Freier und Cwielong kann die freie Flanke des ausweichenden 10ers Tiffert ermöglicht werden.
  
Einsatz von Wechselläufen zum Kreieren von freien Flanken am Beispiel eines Spielzugs aus dem Spiel gegen den SC Paderborn 07. Der Flügelspieler Cwielong kommt Freier entgegen. Latza attackiert die Schnittstelle, die durch die mannorientierte Verfolgung Cwielongs durch den Außenverteidiger entsteht.
     
Die Gegner des VfL sind mittlerweile gut auf diese Art des Spielaufbaus eingestellt. Sie bleiben passiv in einem 4-4-2 oder 4-3-3 Mittelfeldpressing bis Bochum bis zur Mitte der eigenen Hälfte aufrückt. Sobald der zentrale Spieler sich in eine Richtung dreht (meist rechts), wird er von einem der Angreifer im Rücken angelaufen, um ein Zurückdrehen zu verhindern (im Bild Rzatkowski). Sobald der Pass nach Außen kommt, wird der Rückpassweg geschlossen und der äußere Verteidiger (hier Maltritz) getrippelt. Lange Bälle oder gefährliche Ballverluste sind die Folge. Gegentreffer in den Spielen gegen Düsseldorf, Aalen und Sandhausen fielen in der Folge von Ballverlusten durch Fehlpässe oder zu kurze lange Bälle nach einer Isolation des Spielers auf der rechten Seite.
       
Ablauf des Pressings gegen Bochums Aufbauspiel am Beispiel des Spiels gegen den FC St. Pauli. Unter Druck geht der Ball durch ins Aus. Maltritz könnte aufgrund der aussichtslosen Situation fast Absicht unterstellt werden, da Bochum nun wieder Zeit hat, sich neu zu ordnen
            
Entstehung und Klassifikation der Gegentore
     
Die Probleme im Aufbauspiel führen zu einer irren Statistik. Auf Basis der Tabelle am Ende des 12. Spieltags hat der VfL gegen den 2., 3. und 6. gewonnen und gegen den 4. und 5. unentschieden gespielt - das Spiel gegen den Tabellenersten aus Köln steht noch aus. Gegen die restlichen Gegner aus der unteren Tabellenregionen konnte in den sieben übrigen Spielen nur noch ein einzelner Punkt gewonnen werden. Wird der VfL durch die abwartende Haltung des Gegners dazu gezwungen, das Spiel aufzubauen, so besteht stets das Risiko durch einen Fehlpass oder einen Ballgewinn gegen die Aufbauformation, ein Gegentor zu kassieren. Neben den genannten systematischen Ballverlusten durch das Spielen in die Zugriffszonen des gegnerischen Pressing kommt hier noch weitere Aspekte des Bochum Spiels zum Tragen.   

Mithilfe des direkten und individuellen Gegenpressings können häufig spektakuläre Ballgewinne erzielt werden. Dieses Nachsetzen ist wirkt jedoch so verankert, dass neben der ballnahen Unterzahlsituation häufig auch die Absicherung vernachlässigt wird. Prominentestes Beispiel dafür ist der zweite Gegentreffer im Spiel gegen Aue. Doch auch das 1:2 im Spiel gegen den FC St. Pauli sowie zahlreiche hochkarätige Torchancen der Gegner hätten mit einer verzögernderen Positionierung der defensiven Mittelfeldspieler eventuell verhindert werden können.

Doch nicht nur das individualtaktische Verhalten in Kontersituationen ist verbesserungswürdig. Die generelle Staffelung des Absicherungsblocks gegen Konter ist schlecht. Im Angriffsverlauf rücken beide 6er/8er weit mit auf, um direkt für das Gegenpressing bereit zu stehen. Da auch Freier stehts bis ins Angriffsdrittel mitschiebt, verbleiben nur die beiden relativ langsamen Innenverteidiger sowie der ballferne Außenverteidiger als Absicherung zurück. Diese drei Spieler rücken dabei auch nicht bis zur Mittellinie auf, da ihnen die Minimierung des bespielbaren Raums im Rücken wichtiger ist als die Kompaktheit. Bei langen Bällen zur Befreiung aus dem Gegenpressing ziehen sich die Innenverteidiger eng um die Sturmspitze zusammen. Da der Außenverteidiger in diesen Fällen meist nicht genug einrückt, sind die zweiten Bälle nur schwer zu sichern. Kann ein nachrückender Spieler des Gegners den Ball aufsammeln besteht eine extreme Anfälligkeit für Konter über die Räume neben den zusammengerückten Innenverteidigern. (FSV Frankfurt, St. Pauli, Aalen, Aue).

Das 1:1 gegen St. Pauli zeigt die Probleme des VfL in der Absicherung. Der direkte Konter wurde eigentlich bereits durch ein Foul gestoppt. Durch die schnelle Ausführung kommt selbst bei Rzatkowskis Freistoß noch die schlechte Staffelung zu tragen.
  
Die Kombination all dieser Aspekte führt dazu, dass der VfL eine stark negative Korrelation zwischen der Anzahl der gespielten Pässe und der erzielten Tordifferenz zeigt. Die Anzahl der gespielten Pässe kann dabei analog zu den Ballbesitzmaschinen aus Barcelona und München als Zeichen der (scheinbaren) spielerischen Dominanz gewertet werden. Diese Korrelation erklärt auch die unglaubliche Verteilung der Punktgewinne bezüglich des Tabellenplatzes des Gegners.

Darstellung der Korrelation zwischen den gespielten Pässen und der Tordifferenz aus Sicht des VfL. Die gängigen Korrelationskoeffizienten betragen -0,59 (Kendall, p = 0,017) , -0,675 (Pearson, p = 0,016), -0,716 (Spearman, p = 0,008)
  
Statistische Kennwerte der Ligaspiele des VfL (Quelle: www.vfl-bochum.de, www.bundesliga.de)
  

Problemzone 2: Defensive Zwischenlinienräume 

    
Defensive Probleme treten jedoch auch bei der Verteidigung aus einer geordneten Formation auf. Dies geschieht insbesondere dann, wenn der Gegner aus den extremen Engen durch das starke Einrücken wieder hinter der Sturmreihe ins Zentrum spielen kann. Der VfL formiert dann in zwei Viererketten, wobei die Abwehrkette meist horizontal 1-0-2-0-1 gestaffelt ist, um im Zentrum Über- bzw. Gleichzahl gegen den/die gegnerischen Stürmer zu haben und trotzdem die Spielfeldbreite abzudecken. Letzteres ist insbesondere notwendig, da die beiden offensiven Außen die Defensivarbeit gern vernachlässigen und die weiten Wege zurück auf die andere Seite nicht gehen sondern auf Konter zocken. Die dadurch offenen Halbräume werden durch einen dort situativ einrückenden Sechser geschützt. Da auch der zweite 6er/8er zu hoch und oft nicht zentral genug steht und die Stürmer sich in der eigenen Hälfte eher passiv verhalten, entstehen große Löcher im Zwischenlinienraum, die der Gegner für Flanken, Kopfballablagen oder zur Verwertung der zweiten Bälle nutzen kann. Die Gegentore gegen Dynamo Dresden und den FSV Frankfurt fielen nach diesem Muster.

Löcher im Zwischenlinienraum durch Einrücken von Jungwirth in die Abwehrkette und zu hohe Positionen der verbleibenden Spieler am Beispiel des Spiels gegen den FC St. Pauli
  

Problemzone 3: Ungefährliche Standards

   
Nachdem an den ersten 6. Spieltagen 4 Tore aus Ecken und Freistößen erzielt werden konnten, sind in den weiteren 6 Spielen keine weitere Tore hinzugekommen. Für die Anzahl der Freistöße liegen mir leider keine Daten vor. Da zeitgleich die Anzahl der Ecken mit 29 zu 36 in diesen Phasen nur geringfügig abgenommen hat, lässt sich auf eine gesunkene Torgefahr der Standardsituationen schließen.

Problemzone 4: Übermotivation

 
Die letzte Problemzone ist eher untergeordnet. Bei der Betrachtung der Verteilung der Tore und Gegentore aus den ersten 12 Spielen fällt auf, dass im letzten Drittel der ersten Halbzeit ein deutliches Mißverhältnis besteht, während in allen anderen Phasen des Spiels die Verteilung in etwa ausgeglichen ist. Hierzu kann ergänzt werden, dass diese Tore in den beiden Heimspielen gegen  St. Pauli und Paderborn gefallen sind. Es liegt also nahe, dass die die VfL-Spieler aufgrund der Neururer'schen Motivationsansprache und des Schubs der Fans zu Beginn etwas überpowern, was gegen Ende der Halbzeit zu Konzentrationsfehlern und Gegentoren führt.
 
Verteilung der Treffer und Gegentreffer auf die Spielzeit (Quelle: www.bundesliga.de)

   

Stärken und Verbesserungspotentiale

  
Als besondere Stärke kann sicherlich das Umschaltspiel betrachtet werden. Hier zeigt der VfL speziell einstudierte Spielzüge, wie beispielsweise das in zwei Situationen speziell gesuchte Ausweichen Sukuta Pasus im Umschaltmoment gegen St. Pauli, die bereits genannten Wechselläufe sowie schnelle Kurzpassstafetten, die zu sicher sind, um nicht trainiert worden zu sein.
  
Nach dem Klären der Aktion bei 1:01 von oben zeigt sich der Vorteil der hohen zockenden Stellung von Tasaka. Aydin kann den Befreiungsschlag in der Luft gegen die beiden Sechser St. Paulis behaupten und auf Tasaka ablegen. Bemerkenswert ist das Umschaltverhalten des tiefsten Mittelfeldspielers Jungwirth, der die beiden Halbspieler bereits zum Zeitpunkt der Ballbehauptung überholt hat. Tasaka läuft auf Thorandt zu, um ihn zentral zu binden und so Platz für den nach links ausweichenden Sukuta-Pasu zu schaffen. Dieser kann so frei bis zum 16er laufen, wo er nach innen dreht, um sich den Ball auf seinen starken rechten Fuß zu legen.  Die Staffelung nach dem Konter ist bemerkenswert gut. Aydin besetzt das Zentrum, Tasaka den Rückraum und Jungwirth spurtet in Richtung langer Pfosten, wo er den Ball dann auch bekommt. Er kann diesen jedoch nicht kontrolliert aufs Tor bringen oder Ablegen – wahrscheinlich auch wegen der fehlenden Konzentration nach dem 90 m Sprint. In diesem Fall wäre die flache Ablage auf Tasaka wohl vielversprechender gewesen. Der Konter sah einstudiert aus und wurde eine Minute später quasi identisch abgerufen.
  
Um die Defensivleistung von Cwielong und Tasaka zu verbessern, setzt Neururer seit kurzem auf eine Verstärkung der Mannorientierung. Die Umstellung vom raum- und optionsorientierten Blocken in der ersten Pressingreihe im 4-3-3, dem starken ballorientierten Einrücken auf die Seiten im zweiten Drittel und dem mannorientiertem verteidigen in der hinteren Reihe war für die beiden wohl zu komplex. Deshalb wurde z. B. im Spiel gegen Kaiserslautern auf eine extreme Mannorientierung auf den Flügeln gesetzt. Rücken die Außenverteidiger auf, werden somit situativ Fünfer- und Sechserketten gebildet. Die Viererkette kann enger stehen und die Sechser brauchen nicht einrücken. Somit wird letztendlich die Kompaktheit verbessert. Außerdem erlaubt sie den Außenverteidigern aggressiver herauszurücken (siehe auch das Bild zum Ballgewinn gegen Greuther Fürth).

Letztendlich besteht auch Hoffnung aufgrund der Rückkehr von Felix Bastians in den Kader. In den Spielen seit Bastians Abwesenheit wurden alle Tore über die rechte Seite der Bochumer eingeleitet. Im ersten Spiel gegen Union Berlin fielen beide Treffer nach Ballgewinn oder Aufbauspiel auf der linken Seite. Interessant wird es jedoch wie das Bochumer Trainerteam Bastians wieder in die Mannschaft integriert. Zwei so offensive Außenverteidiger benötigen defensive Kompensation, wobei die Absicherung sowieso eine der Problemzonen des VfL ist. Im Spiel gegen Union wurde das Aufrücken beider Außenverteidiger durch den abkippenden Sechser Jungwirth ermöglicht. Dieser kommt jedoch eher über seine Dynamik und wirkt im Spielaufbau nicht immer sicher. Mit der ebenfalls nahenden Rückkehr von Sinkiewicz wäre deshalb ein interessantes Experiment möglich. Die Abwehr agiert konsequent in einer Dreierkette. Tiffert agiert als tiefliegender Spielmacher, der zentral hinter den Stürmern freigespielt wird, neben die Halbverteidiger herauspendelt oder gar eine Viererkette im Aufbau bildet. Jungwirth und Latza agieren als dynamische Achter im Stile Juves. Bastians und Freier werden als  Flügelverteidiger eingesetzt, so dass die inkonsistenten und teils lustlosen Leistungen von Tasaka und Cwielong endlich mit der Bank bestraft werden können. Beide wären kreative Alternativen für die 8er-Position von Latza. Tasaka hat auf der Doppelacht bereits in der 2. Halbzeit gegen Paderborn eine beeindruckende Leistung gezeigt. Im Sturm kann Ilsö einen Hybrid aus 10er in einer Raute und hängender Spitze geben. Auch hier wären Tasaka und Cwielong als ausweichende Flügelstürmer Alternativen. Sukuta-Pasu ist aufgrund seiner horizontalen Bewegungen, der Intensität und Intelligenz seines Pressings sowie der Ballbehauptung gesetzt.
  
Alternative 3-5-2-Formation zur Einbindung der offensiven Außenverteidiger, zur Verbesserung des Aufbauspiels und zur Stärkung der Konterabsicherung

Schlussbemerkung

 
Der Artikel hat mich schon einige Zeit gekostet und ich habe sicher immer noch nicht alle wichtigen Aspekte angesprochen. Ich würde mich freuen, wenn die Kommentarsektion oder meine Facebookseite zu taktischen Diskussionen über den VfL genutzt werden könnten.