Die ersten 12 Spiele sind um. Damit hat der VfL bereits mehr als das erste Drittel seiner Spiele bestritten. Nach dem erfolgreichen Saisonstart mit 11 Punkten aus 7 Spielen und den Siegen gegen die hochgehandelten Mannschaften von Union Berlin und Greuther Fürth folgten 4 Niederlagen gegen Mannschaften, gegen die ursprünglich Punkte eingeplant waren. Gegen den 1. FC Kaiserslautern konnte zwar glücklich ein Punkt geholt werden, Hoffnung auf ein schnelles Ende der Krise machte das Spiel jedoch nicht. In diesem Artikel wird auf Basis der ersten 12 Spiele die Spielidee des VfL extrahiert und analysiert, wo die Gründe für die aktuelle Ergebniskrise liegen könnten. Die Entwicklung im erfolgreichen Spiel gegen den FC Energie Cottbus wird später thematisiert.
Grundformationen
Peter Neururer hält nicht viel von taktischen Konzepten. Für ihn gibt der Verein ein Konzept vor und der Trainer setzt dieses um. Bezogen auf den VfL Bochum bedeutet dies eine Orientiertung an den klassischen Tugenden der Arbeiterbevölkerung: Einsatz, Identifikation und Angriffslust. Aus diesem Grund wurde der Kader in der Sommerpause deutlich umgebaut. Spieler mit Bochumer Vergangenheit wie Butscher und Bastians wurden zurückgeholt, die Nachwuchsspieler Gyamerah, Bulut und Kreyer wurden in den Profikader berufen. Dazu kamen die ablösefreien Transfers von Latza und Tiffert, deren einwandfreier Charakter Neururer aus vorherigen Trainerstationen bereits bekannt war. Als zusätzliche Verstärkungen ohne direkte Bochumer bzw. Neururer-Vergangenheit kamen noch die hochgehandelten Richard Sukuta-Pasu, Ken Ilsö, Florian Jungwirth und Piotr Cwielong.
Der Grundformation misst Neururer ebenfalls keinen hohen Stellenwert bei. Schon bei seinem Amtsantritt gab er eine 4-4-2 Formation vor und fragte die Spieler, wo sie sich und ihre Kollegen in diesem System sehen. Ähnliches ist auch in dieser Saison zu beobachten. Der grobe Rahmen ist stets ein 4-4-2/4-4-1-1, doch durch die Wahl der Spieler können aus diesem Rahmen verschiedene Systeme entstehen.
Eine Übersicht der Aufstellungen ist in der folgenden Tabelle gezeigt. Diese orientiert sich in den Zeilen an den typischen Positionen im 4-4-1-1. Fixpunkte der Aufstellung sind die beiden Innenverteidiger Patrick Fabian und Marcel Maltritz, der Rechtsverteidiger Paul Freier, Florian Jungwirth als 6er sowie Richard Sukuta-Pasu als physisch präsente Sturmspitze. Die Wahl der Spieler auf den übrigen Positionen bestimmt maßgeblich die Ausrichtung auf dem Platz.
Übersicht der Aufstellungen des VfL Bochum in der Saison 2013/14 (Quelle: www.bundesliga.de) |
Im ersten Spiel trat Felix Bastians als Linksverteidiger auf. Dieser hat einen ähnlich stark ausgeprägten Offensivdrang wie sein Gegenüber Paul Freier, so dass beide im Aufbau weit aufrücken. Umd dies zu ermöglichen lässt sich der 6er Florian Jungwirth zwischen die Innenverteidiger fallen. Es entsteht ein 3-1-4-2 bzw. 3-2-2-3 im Aufbau. Aufgrund der Verletzung Bastians und der frühen Degradierung des Nachwuchsspielers Fabian Holthaus spielten seit dem 4. Spieltag stets recht defensiv eingestellte Spieler auf der linken Außenbahn, so dass eine Asymmetrie im Spiel des VfL Bochums entstand. Florian Jungwirth konnte im Aufbauspiel vor der Abwehrkette verbleiben.
Besetzung des 4-4-2 mit Spielern in klassischer Rollenverteilung |
Im zentralen Mittelfeld sind die Optionen durch die vorhandenen Spielertypen noch zahlreicher. Danny Latza ist ein dynamischer Box-To-Box-Spieler, der zusammen mit Florian Jungwirth eine gestaffelte Doppelsechs bildet. Im Idealfall wechseln sich beide Spieler damit ab, abzusichern bzw. die Angriffe zu unterstützen. Christian Tiffert ist strategischer veranlagt als Danny Latza, muss dafür jedoch deutliche Abstriche bezüglich der Dynamik machen. Tritt er mit Jungwirth im zentralen Mittelfeld an, so übernimmt er fast dauerhaft die offensive Position. Ähnlich wie bei seinen Einsätzen als 10er bzw. hängende Spitze im 4-4-1-1 weicht er viel auf die Flügel aus und initiiert dort Überladungen für Kombinationen und Durchbrüche an die Grundlinie. Defensiv bildet er nur selten eine Doppelsechs, sondern versucht das Spiel mit Hilfe seiner höheren Position in aussichsreiche Räume zu lenken. Florian Jungwirth muss allein das defensive Zentrum sichern. Die dritte Option, die jedoch bisher nur im Spiel gegen den FC St. Pauli Anwendung fand, ist Yusuke Tasaka. Dieser verfügt über die größten technischen Qualitäten, so dass auch in den üblicherweise eng zugestellten zentralen Bereichen Lösungen finden kann. Darüber hinaus ermöglicht ihm die etwas tiefere Grundposition, mit Tempo auf die Flügel auszuweichen, wo er sonst meistens mannorientiert bereits bei der Ballannahme gestört wird. Defensiv besitzt er jedoch weder die strategische Qualität Tifferts noch die physische Qualität Latzas, so dass diese Lösung die instabilste Variante darstellt.
Herstellung einer Mittelfeld-Raute durch Anpassung der Spielerrollen im Zentrum und auf den Flügeln |
Auf den Flügelpositionen sind Yusuke Tasaka und Piotr Cwielong aufgrund fehlender Alternativen meist gesetzt. Die mangelnde defensive Disziplin sowie Traingsausfälle aufgrund von Reisestrapazen ließen Peter Neururer jedoch auch andere Spielertypen in diesen Positionen testen. Der junge Onur Bulut verfügt nicht über die technische Klasse von Cwielong oder Tasaka ist jedoch ein flexibel einsetzbares Multitalent, das im Nachwuchsbereich bereits Außenverteidiger, 6er und Flügelstürmer gespielt hat. Er spielt deshalb häufig als stabilsierendes Element in der Mittelfeldraute, wobei er im Gegensatz zu Danny Latza in der anderen Halbposition seine Rolle höher und breiter ausübt. Aufgrund seiner Erfahrungen als Außenverteidiger sucht er eher den Durchbruch zur Grundlinie und die Flanke als Tasaka und Cwielong, die beide eher diagonal agieren. Im Spiel gegen Düsseldorf und in den Schlußphasen vieler Spiele wurde ein dritter nomineller Stürmer auf einer der Flügelpositionen eingesetzt - entweder Sven Kreyer oder Ken Ilsö. In diesem Fall wird ebenfalls der andere Flügel von einem defensivstärkeren Spieler besetzt - Bulut gegen St. Pauli, Düsseldorf und Aue, Latza gegen Fürth. Durch diese Asymmetrie wird das ursprüngliche 4-4-2 eher in Richtung 4-3-3 ausgelegt.
Mit einem Stürmer (in diesem Fall Ken Ilsö) auf einer der Flügelpositionen tendiert die Aufstellung zu einem 4-3-3 |
Die Rolle als hängende Spitze bzw. 10er neben Sukuta-Pasu wurde bisher von Mirkan Aydin, Ken Ilsö und Christian Tiffert besetzt. Mirkan Aydin ergänzt die horizontalen Bewegungen Sukuta-Pasus auf die Flügel durch viele vertikale Läufe. Er ist dabei jedoch stark auf das Zentrum beschränkt. Auch Ilsö arbeitet eher vertikal, geht dabei jedoch auch häufig in die Halbräume zwischen Zentrum und Außenbahn. Somit ist er eher die kombinative, jedoch weniger durchschlagskräftige Lösung. Im Gegensatz dazu ist Christian Tiffert gelernter Mittelfeldspieler. Er interpretiert die Rolle somit deutlich anders als die beiden nominellen Stürmer Aydin und Ilsö. Er lässt sich häufig im Spielaufbau fallen und hilft dabei, die Ballzirkulation aufrecht zu erhalten. Im letzten Drittel agiert er dann sehr diagonal/ horizontal und hilft dabei die Flügel kombinativ zu überladen. Diese Variante ist somit eher für ein geduldiges Ballbesitzspiel geeignet.
Interpretation des 4-4-1-1 als Variante des 4-2-3-1 durch den Einsatz von Tiffert |
Spielidee
Wie schon die Anpassung der spielerischen Ausrichtung, so ist auch die generelle Spielidee von Individualität und den Eigenschaften der Spielertypen geprägt. Tasaka und Cwielong haben offensive Freirollen, wechseln häufig die Flügel und tauchen auch situativ gemeinsam auf einem Flügel oder im Zentrum auf. Die Dynamik und Antrittsschnelligkeit von Paul Freier wird häufig genutzt, um den Ball aus dem ersten ins zweite Drittel zu befördern. Dabei sind durchaus auch Dribblings erlaubt. Mögliche Ballverluste werden durch die beiden 6er/8er abgesichert. Die starke Dynamik von Jungwirth und Latza wird dabei für ein extremes Vorwärtsverteidigen genutzt, wobei diese Form des Gegenpressings der 6er sehr individuell und ballorientiert umgesetzt wird. Es wird keine Rücksicht darauf genommen, ob im direkten Umfeld des Balles eine Über- oder Gleichzahl besteht. Viel mehr wird darauf spekuliert, dass der Überraschungseffekt in Kombination mit der in der 2. Bundesliga nicht so extrem ausgeprägten Pressingresistenz ausreicht, um ein rechtzeitiges Kontrollieren bzw. Weiterspielen des Balles zu verhindern. Mit diesen oft spektakulären Ballgewinnen wird auch der Wunsch der Fans nach Einsatz und Angriffslust befriedigt.
Ein weiteres dominantes Merkmal ist das extreme Verschieben zum ballnahen Flügel. Dieses wird sowohl im Pressing zur Erzeugung von Engen als auch im Offensivspiel für ein abgesichertes kombinatives Überladen der Seiten genutzt. Im geordneten Pressing wird dazu ein 4-4-2 oder gar 4-1-3-2 gebildet, welches einen starken Fokus auf Überzahlbildung rund um den gegnerischen Sechserraum aufweist. Sobald der Ball nach Außen gespielt wird, versuchen die beiden vordersten Akteure die Passwege zurück ins Zentrum abzuschneiden und den Ball auf einer Seite festzumachen. Der Flügelspieler und einer der Sechser stellen den Ballführenden und versuchen ihn weiter in die Enge zu lenken. Der zweite Sechser sichert dahinter ab.
Im weiteren Verlauf rückt auch der ballferne Außenspieler bis ins Zentrum ein. Es befinden sich alle sechs Offensivakteure auf der ballnahen Seite. Wird der Ball vom Gegner weiter in die Bochumer Hälfte getragen, so rückt auch der ballnahe Außenverteidiger aggressiv in Richtung des Balles, der ballnahe Innenverteidiger sichert dahinter ab. In diesem Fall stehen häufig mehr als die Hälfte der Bochumer Spieler in einem Band von 10 m neben der Außenlinie. In den so erzeugten Engen soll durch aggressives Attackieren der Ball gewonnen und durch die Überzahl anschließend behauptet werden.
Im weiteren Verlauf rückt auch der ballferne Außenspieler bis ins Zentrum ein. Es befinden sich alle sechs Offensivakteure auf der ballnahen Seite. Wird der Ball vom Gegner weiter in die Bochumer Hälfte getragen, so rückt auch der ballnahe Außenverteidiger aggressiv in Richtung des Balles, der ballnahe Innenverteidiger sichert dahinter ab. In diesem Fall stehen häufig mehr als die Hälfte der Bochumer Spieler in einem Band von 10 m neben der Außenlinie. In den so erzeugten Engen soll durch aggressives Attackieren der Ball gewonnen und durch die Überzahl anschließend behauptet werden.
Situation vor dem Ballgewinn, der zu Latzas Führungstor im Spiel gegen Union Berlin führte |
Wie für Peter Neururer üblich, haben Standardsituationen einen hohen Stellenwert beim VfL Bochum. Bei der Begründung der Transfers vom Tiffert, Cwielong und Ilsö wurde deren Stärke bei ruhenden Bälle als wichtiges Kaufargument angeführt. Yusuke Tasaka und Paul Freier suchen häufig Dribblings im rechten Halbraum, um Freistöße herauszuholen. Bei Ecken sind stets einstudierte Varianten zu sehen. 4 der 13 Tore im Betrachtungszeitraum sind direkt oder in der Folge von Ecken und Freistößen aus dem Halbraum entstanden.
Entstehung und Klassifikation der erzielten Tore |
Problemzone 1 - Aufbauspiel und Absicherung
Das wohl größte Problem des VfL Bochum unter Peter Neururer ist der geordnete Spielaufbau. Nur 3 Tore wurde bisher aus der Abwehr heraus durchgespielt. Durch den extremem Fokus auf die rechte Seite ist der VfL für den Gegner leicht auszurechen. Seit dem 2. Spieltag wurden alle Tore (inkl. Freistöße, ohne Ecken) über diese Seite eingeleitet. Dabei läuft das Aufbauspiel nach immer gleichem Muster. Durch Abkippen des 6ers zwischen die Innenverteidiger oder durch Aufrücken von Freier und Durchschieben der Innenverteidiger wird eine Dreierkette gebildet. Anstatt aber die Überzahl gegen die 1-2 Stürmer des Gegners zu nutzen und gezielte Flachpässe in den Zehnerraum zwischen die Abwehrketten des Gegners, die sogenannte red zone, zu spielen, landet der Ball mit hoher Sicherheit beim rechten Innenverteidiger Marcel Maltritz, der diesen entwender über den ballnahen Sechser oder direkt zum Rechtsverteidiger Paul Freier spielt. Aus dieser Zone wird dann versucht mit Hilfe von Dribblings, Kurzpasskombinationen und vertikalen Wechselläufen freie Flanken zu ermöglichen oder Fouls zu provozieren.
Die Gegner des VfL sind mittlerweile gut auf diese Art des Spielaufbaus eingestellt. Sie bleiben passiv in einem 4-4-2 oder 4-3-3 Mittelfeldpressing bis Bochum bis zur Mitte der eigenen Hälfte aufrückt. Sobald der zentrale Spieler sich in eine Richtung dreht (meist rechts), wird er von einem der Angreifer im Rücken angelaufen, um ein Zurückdrehen zu verhindern (im Bild Rzatkowski). Sobald der Pass nach Außen kommt, wird der Rückpassweg geschlossen und der äußere Verteidiger (hier Maltritz) getrippelt. Lange Bälle oder gefährliche Ballverluste sind die Folge. Gegentreffer in den Spielen gegen Düsseldorf, Aalen und Sandhausen fielen in der Folge von Ballverlusten durch Fehlpässe oder zu kurze lange Bälle nach einer Isolation des Spielers auf der rechten Seite.
Die Probleme im Aufbauspiel führen zu einer irren Statistik. Auf Basis der Tabelle am Ende des 12. Spieltags hat der VfL gegen den 2., 3. und 6. gewonnen und gegen den 4. und 5. unentschieden gespielt - das Spiel gegen den Tabellenersten aus Köln steht noch aus. Gegen die restlichen Gegner aus der unteren Tabellenregionen konnte in den sieben übrigen Spielen nur noch ein einzelner Punkt gewonnen werden. Wird der VfL durch die abwartende Haltung des Gegners dazu gezwungen, das Spiel aufzubauen, so besteht stets das Risiko durch einen Fehlpass oder einen Ballgewinn gegen die Aufbauformation, ein Gegentor zu kassieren. Neben den genannten systematischen Ballverlusten durch das Spielen in die Zugriffszonen des gegnerischen Pressing kommt hier noch weitere Aspekte des Bochum Spiels zum Tragen.
Mithilfe des direkten und individuellen Gegenpressings können häufig spektakuläre Ballgewinne erzielt werden. Dieses Nachsetzen ist wirkt jedoch so verankert, dass neben der ballnahen Unterzahlsituation häufig auch die Absicherung vernachlässigt wird. Prominentestes Beispiel dafür ist der zweite Gegentreffer im Spiel gegen Aue. Doch auch das 1:2 im Spiel gegen den FC St. Pauli sowie zahlreiche hochkarätige Torchancen der Gegner hätten mit einer verzögernderen Positionierung der defensiven Mittelfeldspieler eventuell verhindert werden können.
Doch nicht nur das individualtaktische Verhalten in Kontersituationen ist verbesserungswürdig. Die generelle Staffelung des Absicherungsblocks gegen Konter ist schlecht. Im Angriffsverlauf rücken beide 6er/8er weit mit auf, um direkt für das Gegenpressing bereit zu stehen. Da auch Freier stehts bis ins Angriffsdrittel mitschiebt, verbleiben nur die beiden relativ langsamen Innenverteidiger sowie der ballferne Außenverteidiger als Absicherung zurück. Diese drei Spieler rücken dabei auch nicht bis zur Mittellinie auf, da ihnen die Minimierung des bespielbaren Raums im Rücken wichtiger ist als die Kompaktheit. Bei langen Bällen zur Befreiung aus dem Gegenpressing ziehen sich die Innenverteidiger eng um die Sturmspitze zusammen. Da der Außenverteidiger in diesen Fällen meist nicht genug einrückt, sind die zweiten Bälle nur schwer zu sichern. Kann ein nachrückender Spieler des Gegners den Ball aufsammeln besteht eine extreme Anfälligkeit für Konter über die Räume neben den zusammengerückten Innenverteidigern. (FSV Frankfurt, St. Pauli, Aalen, Aue).
Die Kombination all dieser Aspekte führt dazu, dass der VfL eine stark negative Korrelation zwischen der Anzahl der gespielten Pässe und der erzielten Tordifferenz zeigt. Die Anzahl der gespielten Pässe kann dabei analog zu den Ballbesitzmaschinen aus Barcelona und München als Zeichen der (scheinbaren) spielerischen Dominanz gewertet werden. Diese Korrelation erklärt auch die unglaubliche Verteilung der Punktgewinne bezüglich des Tabellenplatzes des Gegners.
Defensive Probleme treten jedoch auch bei der Verteidigung aus einer geordneten Formation auf. Dies geschieht insbesondere dann, wenn der Gegner aus den extremen Engen durch das starke Einrücken wieder hinter der Sturmreihe ins Zentrum spielen kann. Der VfL formiert dann in zwei Viererketten, wobei die Abwehrkette meist horizontal 1-0-2-0-1 gestaffelt ist, um im Zentrum Über- bzw. Gleichzahl gegen den/die gegnerischen Stürmer zu haben und trotzdem die Spielfeldbreite abzudecken. Letzteres ist insbesondere notwendig, da die beiden offensiven Außen die Defensivarbeit gern vernachlässigen und die weiten Wege zurück auf die andere Seite nicht gehen sondern auf Konter zocken. Die dadurch offenen Halbräume werden durch einen dort situativ einrückenden Sechser geschützt. Da auch der zweite 6er/8er zu hoch und oft nicht zentral genug steht und die Stürmer sich in der eigenen Hälfte eher passiv verhalten, entstehen große Löcher im Zwischenlinienraum, die der Gegner für Flanken, Kopfballablagen oder zur Verwertung der zweiten Bälle nutzen kann. Die Gegentore gegen Dynamo Dresden und den FSV Frankfurt fielen nach diesem Muster.
Nachdem an den ersten 6. Spieltagen 4 Tore aus Ecken und Freistößen erzielt werden konnten, sind in den weiteren 6 Spielen keine weitere Tore hinzugekommen. Für die Anzahl der Freistöße liegen mir leider keine Daten vor. Da zeitgleich die Anzahl der Ecken mit 29 zu 36 in diesen Phasen nur geringfügig abgenommen hat, lässt sich auf eine gesunkene Torgefahr der Standardsituationen schließen.
Die letzte Problemzone ist eher untergeordnet. Bei der Betrachtung der Verteilung der Tore und Gegentore aus den ersten 12 Spielen fällt auf, dass im letzten Drittel der ersten Halbzeit ein deutliches Mißverhältnis besteht, während in allen anderen Phasen des Spiels die Verteilung in etwa ausgeglichen ist. Hierzu kann ergänzt werden, dass diese Tore in den beiden Heimspielen gegen St. Pauli und Paderborn gefallen sind. Es liegt also nahe, dass die die VfL-Spieler aufgrund der Neururer'schen Motivationsansprache und des Schubs der Fans zu Beginn etwas überpowern, was gegen Ende der Halbzeit zu Konzentrationsfehlern und Gegentoren führt.
Die Gegner des VfL sind mittlerweile gut auf diese Art des Spielaufbaus eingestellt. Sie bleiben passiv in einem 4-4-2 oder 4-3-3 Mittelfeldpressing bis Bochum bis zur Mitte der eigenen Hälfte aufrückt. Sobald der zentrale Spieler sich in eine Richtung dreht (meist rechts), wird er von einem der Angreifer im Rücken angelaufen, um ein Zurückdrehen zu verhindern (im Bild Rzatkowski). Sobald der Pass nach Außen kommt, wird der Rückpassweg geschlossen und der äußere Verteidiger (hier Maltritz) getrippelt. Lange Bälle oder gefährliche Ballverluste sind die Folge. Gegentreffer in den Spielen gegen Düsseldorf, Aalen und Sandhausen fielen in der Folge von Ballverlusten durch Fehlpässe oder zu kurze lange Bälle nach einer Isolation des Spielers auf der rechten Seite.
Entstehung und Klassifikation der Gegentore |
Die Probleme im Aufbauspiel führen zu einer irren Statistik. Auf Basis der Tabelle am Ende des 12. Spieltags hat der VfL gegen den 2., 3. und 6. gewonnen und gegen den 4. und 5. unentschieden gespielt - das Spiel gegen den Tabellenersten aus Köln steht noch aus. Gegen die restlichen Gegner aus der unteren Tabellenregionen konnte in den sieben übrigen Spielen nur noch ein einzelner Punkt gewonnen werden. Wird der VfL durch die abwartende Haltung des Gegners dazu gezwungen, das Spiel aufzubauen, so besteht stets das Risiko durch einen Fehlpass oder einen Ballgewinn gegen die Aufbauformation, ein Gegentor zu kassieren. Neben den genannten systematischen Ballverlusten durch das Spielen in die Zugriffszonen des gegnerischen Pressing kommt hier noch weitere Aspekte des Bochum Spiels zum Tragen.
Mithilfe des direkten und individuellen Gegenpressings können häufig spektakuläre Ballgewinne erzielt werden. Dieses Nachsetzen ist wirkt jedoch so verankert, dass neben der ballnahen Unterzahlsituation häufig auch die Absicherung vernachlässigt wird. Prominentestes Beispiel dafür ist der zweite Gegentreffer im Spiel gegen Aue. Doch auch das 1:2 im Spiel gegen den FC St. Pauli sowie zahlreiche hochkarätige Torchancen der Gegner hätten mit einer verzögernderen Positionierung der defensiven Mittelfeldspieler eventuell verhindert werden können.
Doch nicht nur das individualtaktische Verhalten in Kontersituationen ist verbesserungswürdig. Die generelle Staffelung des Absicherungsblocks gegen Konter ist schlecht. Im Angriffsverlauf rücken beide 6er/8er weit mit auf, um direkt für das Gegenpressing bereit zu stehen. Da auch Freier stehts bis ins Angriffsdrittel mitschiebt, verbleiben nur die beiden relativ langsamen Innenverteidiger sowie der ballferne Außenverteidiger als Absicherung zurück. Diese drei Spieler rücken dabei auch nicht bis zur Mittellinie auf, da ihnen die Minimierung des bespielbaren Raums im Rücken wichtiger ist als die Kompaktheit. Bei langen Bällen zur Befreiung aus dem Gegenpressing ziehen sich die Innenverteidiger eng um die Sturmspitze zusammen. Da der Außenverteidiger in diesen Fällen meist nicht genug einrückt, sind die zweiten Bälle nur schwer zu sichern. Kann ein nachrückender Spieler des Gegners den Ball aufsammeln besteht eine extreme Anfälligkeit für Konter über die Räume neben den zusammengerückten Innenverteidigern. (FSV Frankfurt, St. Pauli, Aalen, Aue).
Die Kombination all dieser Aspekte führt dazu, dass der VfL eine stark negative Korrelation zwischen der Anzahl der gespielten Pässe und der erzielten Tordifferenz zeigt. Die Anzahl der gespielten Pässe kann dabei analog zu den Ballbesitzmaschinen aus Barcelona und München als Zeichen der (scheinbaren) spielerischen Dominanz gewertet werden. Diese Korrelation erklärt auch die unglaubliche Verteilung der Punktgewinne bezüglich des Tabellenplatzes des Gegners.
Statistische Kennwerte der Ligaspiele des VfL (Quelle: www.vfl-bochum.de, www.bundesliga.de) |
Problemzone 2: Defensive Zwischenlinienräume
Defensive Probleme treten jedoch auch bei der Verteidigung aus einer geordneten Formation auf. Dies geschieht insbesondere dann, wenn der Gegner aus den extremen Engen durch das starke Einrücken wieder hinter der Sturmreihe ins Zentrum spielen kann. Der VfL formiert dann in zwei Viererketten, wobei die Abwehrkette meist horizontal 1-0-2-0-1 gestaffelt ist, um im Zentrum Über- bzw. Gleichzahl gegen den/die gegnerischen Stürmer zu haben und trotzdem die Spielfeldbreite abzudecken. Letzteres ist insbesondere notwendig, da die beiden offensiven Außen die Defensivarbeit gern vernachlässigen und die weiten Wege zurück auf die andere Seite nicht gehen sondern auf Konter zocken. Die dadurch offenen Halbräume werden durch einen dort situativ einrückenden Sechser geschützt. Da auch der zweite 6er/8er zu hoch und oft nicht zentral genug steht und die Stürmer sich in der eigenen Hälfte eher passiv verhalten, entstehen große Löcher im Zwischenlinienraum, die der Gegner für Flanken, Kopfballablagen oder zur Verwertung der zweiten Bälle nutzen kann. Die Gegentore gegen Dynamo Dresden und den FSV Frankfurt fielen nach diesem Muster.
Löcher im Zwischenlinienraum durch Einrücken von Jungwirth in die Abwehrkette und zu hohe Positionen der verbleibenden Spieler am Beispiel des Spiels gegen den FC St. Pauli |
Problemzone 3: Ungefährliche Standards
Nachdem an den ersten 6. Spieltagen 4 Tore aus Ecken und Freistößen erzielt werden konnten, sind in den weiteren 6 Spielen keine weitere Tore hinzugekommen. Für die Anzahl der Freistöße liegen mir leider keine Daten vor. Da zeitgleich die Anzahl der Ecken mit 29 zu 36 in diesen Phasen nur geringfügig abgenommen hat, lässt sich auf eine gesunkene Torgefahr der Standardsituationen schließen.
Problemzone 4: Übermotivation
Die letzte Problemzone ist eher untergeordnet. Bei der Betrachtung der Verteilung der Tore und Gegentore aus den ersten 12 Spielen fällt auf, dass im letzten Drittel der ersten Halbzeit ein deutliches Mißverhältnis besteht, während in allen anderen Phasen des Spiels die Verteilung in etwa ausgeglichen ist. Hierzu kann ergänzt werden, dass diese Tore in den beiden Heimspielen gegen St. Pauli und Paderborn gefallen sind. Es liegt also nahe, dass die die VfL-Spieler aufgrund der Neururer'schen Motivationsansprache und des Schubs der Fans zu Beginn etwas überpowern, was gegen Ende der Halbzeit zu Konzentrationsfehlern und Gegentoren führt.
Verteilung der Treffer und Gegentreffer auf die Spielzeit (Quelle: www.bundesliga.de) |
Stärken und Verbesserungspotentiale
Als besondere Stärke kann sicherlich das Umschaltspiel betrachtet werden. Hier zeigt der VfL speziell einstudierte Spielzüge, wie beispielsweise das in zwei Situationen speziell gesuchte Ausweichen Sukuta Pasus im Umschaltmoment gegen St. Pauli, die bereits genannten Wechselläufe sowie schnelle Kurzpassstafetten, die zu sicher sind, um nicht trainiert worden zu sein.
Um die Defensivleistung von Cwielong und Tasaka zu verbessern, setzt Neururer seit kurzem auf eine Verstärkung der Mannorientierung. Die Umstellung vom raum- und optionsorientierten Blocken in der ersten Pressingreihe im 4-3-3, dem starken ballorientierten Einrücken auf die Seiten im zweiten Drittel und dem mannorientiertem verteidigen in der hinteren Reihe war für die beiden wohl zu komplex. Deshalb wurde z. B. im Spiel gegen Kaiserslautern auf eine extreme Mannorientierung auf den Flügeln gesetzt. Rücken die Außenverteidiger auf, werden somit situativ Fünfer- und Sechserketten gebildet. Die Viererkette kann enger stehen und die Sechser brauchen nicht einrücken. Somit wird letztendlich die Kompaktheit verbessert. Außerdem erlaubt sie den Außenverteidigern aggressiver herauszurücken (siehe auch das Bild zum Ballgewinn gegen Greuther Fürth).
Letztendlich besteht auch Hoffnung aufgrund der Rückkehr von Felix Bastians in den Kader. In den Spielen seit Bastians Abwesenheit wurden alle Tore über die rechte Seite der Bochumer eingeleitet. Im ersten Spiel gegen Union Berlin fielen beide Treffer nach Ballgewinn oder Aufbauspiel auf der linken Seite. Interessant wird es jedoch wie das Bochumer Trainerteam Bastians wieder in die Mannschaft integriert. Zwei so offensive Außenverteidiger benötigen defensive Kompensation, wobei die Absicherung sowieso eine der Problemzonen des VfL ist. Im Spiel gegen Union wurde das Aufrücken beider Außenverteidiger durch den abkippenden Sechser Jungwirth ermöglicht. Dieser kommt jedoch eher über seine Dynamik und wirkt im Spielaufbau nicht immer sicher. Mit der ebenfalls nahenden Rückkehr von Sinkiewicz wäre deshalb ein interessantes Experiment möglich. Die Abwehr agiert konsequent in einer Dreierkette. Tiffert agiert als tiefliegender Spielmacher, der zentral hinter den Stürmern freigespielt wird, neben die Halbverteidiger herauspendelt oder gar eine Viererkette im Aufbau bildet. Jungwirth und Latza agieren als dynamische Achter im Stile Juves. Bastians und Freier werden als Flügelverteidiger eingesetzt, so dass die inkonsistenten und teils lustlosen Leistungen von Tasaka und Cwielong endlich mit der Bank bestraft werden können. Beide wären kreative Alternativen für die 8er-Position von Latza. Tasaka hat auf der Doppelacht bereits in der 2. Halbzeit gegen Paderborn eine beeindruckende Leistung gezeigt. Im Sturm kann Ilsö einen Hybrid aus 10er in einer Raute und hängender Spitze geben. Auch hier wären Tasaka und Cwielong als ausweichende Flügelstürmer Alternativen. Sukuta-Pasu ist aufgrund seiner horizontalen Bewegungen, der Intensität und Intelligenz seines Pressings sowie der Ballbehauptung gesetzt.
Alternative 3-5-2-Formation zur Einbindung der offensiven Außenverteidiger, zur Verbesserung des Aufbauspiels und zur Stärkung der Konterabsicherung |
Schlussbemerkung
Der Artikel hat mich schon einige Zeit gekostet und ich habe sicher immer noch nicht alle wichtigen Aspekte angesprochen. Ich würde mich freuen, wenn die Kommentarsektion oder meine Facebookseite zu taktischen Diskussionen über den VfL genutzt werden könnten.
Moin. Was mir zu taktischen Überladung einfällt ist, dass IMO da verrsucht wird die kreative Schwäche versucht wird zu übertünchen. Auch das Überladen auf Freier weist darauf hin, da er der Einzige ist, der aus der 4erKette mal nen Zweikampf gut durchstehen kann. Cwielong und Tasaka scheinen das seltener zu können
AntwortenLöschenDas seh ich ähnlich. Leider haben wir keine Spieler, die individuell Engen durch Dribblings oder Zauberpässe auflösen können. Da habe ich mir nach den ersten Gerüchten über Cwielong aus Polen etwas mehr versprochen. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen die Dribblingversuche in den Engen dienen teilweise sogar gezielt zur Vorbereitung von Ballgewinnen im Gegenpressing. Zu sehr lauern Latza, Jungwirth und Freier auf die Abpraller wenn Tasaka oder Cwielong hängenbleiben. Hab da in der Analyse zum Spiel gegen Aalen was zu geschrieben.
LöschenDa wäre dann aber auch wieder die Frage nach Huhn und Ei: Versucht PN dadurch zusätzlich Sicherheit auf Kosten einer Offensivanspielstation einzubauen oder haben Latza, Jungwirth, Freier und Co Schiss und halten sich deswegen so zurück und sichern ab? Weil alle weiteren Defensivspieler sind langsam. Was dabei noch IMO auffällt ist, dass ausländische Spieler generell nicht so mit PN zu können scheinen. Tasaka baut z.B. nur noch ab.
LöschenDen Kontext verstehe ich nicht ganz? Diese Situationen treten ja meist kurz vor der gegnerischen Abseitslinie in Engen auf den Außenbahnen auf. Dort gibt es wenig Optionen für ein offensives Freilaufen. Im Artikel schreibe ich ja sogar, dass die Absicherung oft nicht gut ist. Anstatt eines Dribblings wäre die zweite Option ein Rückpass und eine Spielverlagerung. Dazu müssten sich die absichernden Spieler etwas breiter und besser gestaffelt auffächern. Ein weiteres Aufrücken würde die Lage nur verschlimmern.
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